Soziale Kommunikation und Interaktion: Autistische Menschen verstehen oft nicht,
was Tonlage, Gesichtsausdruck und Körperhaltung kommunizieren
was "zwischen den Zeilen" mitgesagt wird
welche ungeschriebenen Regeln und Konventionen in einer bestimmten Situation gelten
wie etwas aus der Perspektive einer anderen Person aussieht
Soziale Vorstellungskraft: Autist*innen fällt es schwer einzuschätzen, was andere Menschen als nächstes tun könnten oder warum sie etwas tun.
Sprache: Manche autistischen Kinder fangen spät an zu sprechen, manche nie. Manche haben eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten. Viele autistische Menschen sprechen fließend (Asperger-Syndrom). Alle aber haben Schwierigkeiten mit den sozialen Aspekten der Kommunikation.
Interessen: Autistische Menschen haben oft intensive Interessen (auch Spezialinteressen genannt) und ausgeprägte Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich (manchmal als "Inselbegabung" bezeichnet). Wirkliche Savants sind aber auch unter autistischen Menschen selten.
Verhalten: Manche Verhaltensweisen autistischer Menschen sind für Nichtautisten schwer nachzuvollziehen, zum Beispiel ihr Bedürfnis nach Routinen und Beständigkeit oder ihr "Stimming" (zum Beispiel Stereotypien, repetitive Bewegungen). Oft liegt der Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten in der Wahrnehmungsverarbeitung: Sie verarbeiten Reize anders als nichtautistische Menschen.
Die Schwierigkeiten autistischer Menschen sind manchmal sehr auffällig und manchmal für die Umgebung kaum wahrnehmbar.
Wenn ich mit den Fingern schnippen könnte und nicht mehr autistisch wäre, ich würde es nicht tun. Autismus ist Teil dessen, was ich bin.
Temple Grandin
Ursachen: Autismus ist zum großen Teil genetisch bedingt.
Neurologie: Das Gehirn von Menschen im Autismusspektrum ist ein bisschen anders als bei Nichtautisten. Die Hirnforschung hat verschiedene Theorien darüber, zum Beispiel könnten die Spiegelneuronen bei autistischen Menschen anders funktionieren.
Häufigkeit: Ungefähr 1–2 Prozent der Menschen sind im Autismus-Spektrum. Das sind in Deutschland ca. 800.000 bis 1,6 Millionen Personen.
Nicht alle wissen, dass sie autistisch sind. Unterdiagnostiziert sind Erwachsene, Mädchen und Frauen, und wahrscheinlich auch People of Color.
Das Asperger-Syndrom ist eine Form von Autismus, die auf den ersten Blick nicht auffällt. Die Unterschiede zwischen Asperger-Syndrom und frühkindlichen Autismus können zwar groß erscheinen, aber die Übergänge sind fließend. (Siehe auch "Asperger oder HFA?")
"Aspies" sprechen – oft haben sie sogar einen großen Wortschatz und können sich gewählt ausdrücken. Nur die sozialen Zwischentöne in einer Unterhaltung fallen ihnen schwer: Anspielungen und subtile Sticheleien sind nicht ihre Welt.
Sich in sozialen Situationen Vorteile zu verschaffen, kleine Intrigen zu planen, oder sich gut zu verkaufen – das ist bei ihnen "nicht installiert". In der Schule und im Berufsleben sind sie oft Opfer von Mobbing.
Auch nonverbale Kommunikation fällt schwer. Zum Beispiel Gesichtsausdrücke: Ist ein Lachen fröhlich, höflich oder hämisch? Blickkontakt lenkt sie eher ab, statt ihnen Informationen darüber zu geben, wie das Gesagte gemeint ist – also meiden sie ihn oft.
"Aspies" sind oft bis ins Erwachsenenalter nicht diagnostiziert - und keiner versteht, warum sie sich mit manchen Dingen so schwer tun. Sie gelten vielleicht als Nerds, schüchtern, sozial ungeschickt oder unhöflich. An Autismus denkt meist keiner – das Klischee von stummen, unnahbaren Kleinkind sitzt zu tief.
Für viele Menschen mit Asperger-Syndrom ist es eine Erleichterung, von Autismus bzw. dem Asperger-Syndrom zu erfahren. Endlich haben sie eine Erklärung dafür, warum sie so sind, wie sie sind.
Viele Forscher halten das für wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Zwar unterscheiden sich autistische Menschen stark voneinander, aber diese Unterschiede sind graduell und können sich im Laufe des Lebens oder je nach Situation ändern.
Das Autismus-Spektrum
Deshalb spricht man inzwischen vom Autismusspektrum. Im DSM-V wurden alle Autismus-Diagnosen zur "Autismus-Spektrum-Störung" (Autism Spectrum Disorder, ASS) zusammengefasst. Im ICD sind sie derzeit unter F84 noch einzeln gelistet, aber bei der nächsten Überarbeitung wird man wahrscheinlich auch hier vom Autismusspektrum lesen.
Manche Autist*innen haben weitere Diagnosen (sog. "komorbide Störungen" oder "Begleitstörungen") wie z.B. ADHS oder Prosopagnosie (die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen).
Entwicklungsstörung?
Die beiden Diagnosehandbücher ICD und DSM zählen Autismus zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Entwicklungsstörung bedeutet, dass die Kondition von Geburt an vorhanden ist, auch wenn sie nicht gleich erkennbar ist.
Wir finden den Begriff Störung ungeeignet, um Autismus zu beschreiben. Autismus ist facettenreich und sollte nicht auf seine negativen Aspekte reduziert werden.
Auch für die Lebensqualität autistischer Menschen ist es nicht gut, sich als gestört zu betrachten.
Was heißt es für autistische Menschen, dass ihre Wesensart als Störung betrachtet wird?
Autismus ist keine Krankheit, keine Störung oder gar beklagenswerte Beeinträchtigung, sondern nur eine besondere, ungewöhnliche, eigentümliche Ausprägung des Menschseins.
Barry M. Prizant
Autismus ist keine Krankheit. Es ist eine andere Wesensart, eine andere Art zu sein.
Autismus ist aber eine Behinderung – zumindest in unserer nichtautistischen Gesellschaft.
Menschen im Autismus-Spektrum steht deshalb z.B. in bestimmten Situationen Unterstützung oder ein Nachteilsausgleich zu.
Von einer Gesellschaft, die für autistische Menschen wirklich barrierefrei ist, sind wir leider noch weit entfernt.
Die Autismus-Forschung konzentriert sich leider darauf, eine "Heilung" für Autismus zu finden, statt zu erforschen, wie Inklusion und Barrierefreiheit für autistische Menschen in Schule, Arbeit und anderen Lebensbereichen gelingen kann.
Autismus-Kultur setzt sich für eine Welt ein, in der autistische Menschen Wertschätzung und Anerkennung erfahren.
In der sie in allen Lebensbereichen teilhaben und mitgestalten können.
In der sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten können und dafür geeignete Unterstützung bekommen.
Aus meiner klinischen Erfahrung heraus sehe ich es so, dass Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom eine andere, nicht mangelhafte, Art zu denken haben.