Eine Frage, die mir hin und wieder gestellt wird, ist: Asperger oder Autismus-Spektrum, was ist der Unterschied?
Und auch in der Forschung wurde lange diskutiert, ob es eine klar definierbare, sinnvolle Unterscheidung zwischen dem Asperger-Syndrom und anderen Formen von Autismus gibt.
Zunächt einmal: Hochfunktionaler Autismus (High-Functioning-Autismus) und Asperger-Syndrom sind beides Formen von Autismus. Menschen mit Asperger-Syndrom und mit High-Functioning-Autismus sind im Erwachsenenalter oft nicht mehr zu unterscheiden.
Warum dann zwei unterschiedliche Diagnosen?
Tatsächlich gibt es heute nur noch eine Autismus-Diagnose, nämlich die sogenannte Autismus-Spektrum-Störung. Diese findet man inzwischen sowohl im Diagnosehandbuch DSM-5 als auch in den Diagnosekriterien im ICD-11.
Der Stand der Forschung ist es, dass Autismus ein Spektrum ist. Jeder autistische Mensch ist unterschiedlich, aber die Unterschiede sind graduell und individuell, nicht kategorial.
Das war nicht immer Konsens. Früher gab es mehrere Autismus-Diagnosen, und viele Forscher*innen versuchten, sie voneinander abzugrenzten – ohne wirklichen Erfolg.
Besonders über eine mögliche Abgrenzung zwischen hochfunktionalem Autismus und dem Asperger-Syndrom wurde diskutiert. In diesem Artikel geht es darum, welche Merkmale dabei zur Unterscheidung herangezogen wurden.
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Sprachentwicklung
Den Hauptunterschied zwischen dem Asperger-Syndrom und hochfunktionalem Autismus sah man in der Sprachentwicklung: Kinder mit Asperger-Syndrom haben keine Verzögerung der Sprachentwicklung und fangen typischerweise früh an zu sprechen.
Das ist der einzige Unterschied, den die Diagnosekriterien benannten. Sowohl das ICD-10 als auch das DSM-IV legten fest, dass für eine Asperger-Diagnose die allgemeine Sprachentwicklung (der Lautsprache) normal sein muss. Schwierigkeiten dürfen nur in den sozialen Aspekten der Kommunikation bestehen (Anwendung und Verständnis von Sprache in einem sozialen Kontext).
Kinder mit hochfunktionalem Autismus konnten eine deutliche Sprachverzögerung haben.
Die Diagnose Asperger-Syndrom wurde auch gestellt, wenn Erwachsene diagnostiziert werden und sich niemand mehr genau erinnert, wann sie angefangen haben zu sprechen.
In drei weiteren Bereichen gab es in der Wissenschaft lange Diskussionen darüber, ob es einen Unterschied zwischen den verschiedenen Autismus-Formen gibt:
Intelligenz
Das Asperger-Syndrom und hochfunktionaler Autismus gelten beide als Autismus-Formen ohne zusätzliche geistige Behinderung.
Hans Asperger selbst sagte zwar, dass es möglich sei, dass eine Person die Merkmale des Asperger-Syndroms habe, und gleichzeitig eine zusätzliche geistige Behinderung. Aber Hans Asperger hat eben nicht das Asperger-Syndrom beschrieben, sondern einen Teil des Autismus, und erst später wurde daraus die Diagnose Asperger-Syndrom.
Hingegen war immer weithin akzeptiert, dass High-Functioning Autismus nicht diagnostiziert werden konnte, wenn der IQ einer Person unter 65-70 liegt.
Motorische Geschicklichkeit
Hin und wieder wird die Ansicht geäußert, dass das Asperger-Syndrom immer mit motorischer Ungeschicklichkeit verbunden ist. Bereits Hans Asperger beschrieb die motorischen Schwierigkeiten autistischer Kinder.
Es ist wahrscheinlich, dass die meisten Kinder mit Asperger-Syndrom in irgendeiner Weise motorische Schwierigkeiten oder Koordinationsprobleme haben (Stichwort Sensomotorik). Deshalb gelten motorische Schwierigkeiten oft als Merkmal des Asperger-Syndroms. Viele Kinder mit hochfunktionalem Autismus haben in diesem Bereich jedoch auch Schwierigkeiten.
Alter
Dieselbe Person konnte zu einem Zeitpunkt ihres Lebens die Diagnose High-Functioning Autismus erhalten und zu einem anderen eine Asperger-Diagnose. Manchmal wurde ein kleines Kind mit hochfunktionalem Autismus diagnostiziert und zu der Zeit, zu der es mit der Schule begann, wurde die Diagnose auf Asperger geändert. Der Grund dafür war oft pragmatisch: Lehrkräfte haben zu m Asperger-Syndrom andere Assoziationen als zu Autismus.
Manche Diagnostiker waren der Ansicht, dass das Asperger-Syndrom nicht diagnostiziert werden könne, bevor das Kind in die Schule geht. Das liegt hauptsächlich daran, dass viele Schwierigkeiten, vor allem in sozialen Bereich erst augenfällig werden, wenn das Kind viel Zeit in einem größeren sozialen Umfeld verbringt.
Asperger und HFA: Zusammenfassung
- Sowohl Menschen mit hochfunktionalem Autismus als auch mit Asperger-Syndrom haben die autismustypischen Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation, der sozialen Interaktion und im sozialen Verständnis.
- Beide Gruppen haben mit großer Wahrscheinlichkeit eine durchschnittliche oder überdurchschnittliche Intelligenz.
- Inzwischen verwenden beide Diagnosehandbücher das Konzept der Autismus-Spektrum-Störung, innerhalb derer die Unterschiede graduell sind.
Die Frage »Asperger oder Autismus-Spektrum« kann man damit ad acta legen: Wir alle sind autistisch.
Quellen und Literatur
Zuletzt bearbeitet am 17.06.2025.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater zweier fabelhafter Kinder. Mehr über Linus