Autismus-Spektrum-Diagnose: Fragen und Antworten
Inhaltsverzeichnis
- Ich vermute, dass mein Kind autistisch ist/dass ich autistisch bin. Soll ich eine Diagnose anstreben?
- Mein Kind hat eine Autismus-Diagnose bekommen. Was passiert normalerweise nach einer Diagnose – und was sollte geschehen?
- Können durch eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum Nachteile entstehen?
- Wer erfährt überhaupt von der Diagnose? Es gilt doch Schweigepflicht?
- Wie kann ich mir ohne Diagnose sicher sein, dass ich autistisch bin/dass mein Kind autistisch ist?
- Kann ich verhindern, dass ich eine Diagnose bekomme?
- Ich habe eine Diagnose, will aber keine.
- Ich brauche eine Diagnose, um Unterstützung zu bekommen.
Ich vermute, dass mein Kind autistisch ist/dass ich autistisch bin. Soll ich eine Diagnose anstreben?
Zunächst einmal: Verständnis und Entgegenkommen sollten nie von einer Diagnose abhängig gemacht werden. Und man ist auch mit Diagnose noch dieselbe Person. Eine Autismus-Diagnose kann aber verschiedene Auswirkungen haben – einige davon findet man vielleicht wünschenswert, andere sicherlich nicht. Deshalb ist es wichtig, sich vor einer diagnostischen Abklärung darüber zu informieren, welche Folgen sich daraus ergeben können.
Für das Kind kann die Diagnose dazu führen, dass es auf Sonderwege abgeschoben wird, z.B. Sonderschulen und Heime; andererseits kann eine Diagnose helfen, bestimmte Integrationsleistungen zu bekommen, z.B. ein Persönliches Budget oder Schulassistenz. Ich würde eine Diagnose, insbesondere für ein Kind, nur anstreben, wenn absehbar ist, dass es ohne nicht geht.
Für Eltern bedeutet die Diagnose ihres Kindes allerdings oft eine (mentale) Entlastung. Sie haben oft jahrelang missbilligende Blicke oder Sprüche aus ihrer Umgebung erlebt, wegen angeblich schlechter Erziehung. Dem können sie jetzt etwas entgegensetzen. Das können sie aber bereits mit dem Wissen um Autismus, auch ohne Diagnose: Das Kind ist eben so.
Auch für Erwachsene, die eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum erhalten, hat die Diagnose oft eine Entlastungsfunktion: sie sind nicht »zu faul« oder »zu böse«, sondern – und das ist der hohe Preis dieser Entlastung – krank. Es kann für das Selbstwertgefühl besser sein, sich als »faul«, »unkonventionell« oder »rebellisch« zu verstehen, denn als »defizitär« oder »gestört«.
Ich war verwirrt, hasste mich selbst und gab mir die Schuld, dass ich die Erwartungen nie ganz erfüllen konnte. Erst als ich mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, begann sich das zu ändern. Ich fing endlich an, mich selbst zu verstehen. Bücher, Websites, Blogposts, Twitter-Gespräche und Leute, die mich verstanden haben, haben mir mehr gebracht, als es Therapie je getan hat.
Anne
Eine Diagnose, selbst wenn man sie selbst angestrebt hat, kann zu einer starken Verunsicherung führen. Wer Autismus als Krankheit sieht, fühlt sich vielleicht durch und durch krank, fühlt sich in seiner gesamten Persönlichkeit in Frage gestellt. Und da Autismus als nicht »heilbar« gilt, fühlen sie sich vielleicht hoffnungslos und deprimiert. Aber auch bei Personen, die eigentlich eine sehr positive und emanzipatorische Haltung zu Autismus haben, habe ich es schon erlebt, dass die tatsächliche Diagnose, Schwarz auf Weiß, ein Schock war. Man sollte nicht vergessen, dass der Diagnose-Brief alles aufzählt, was man nicht kann oder wodurch man merkwürdig erscheint. Auch wenn man es selbst schon wusste: Das kann weh tun. Vielleicht sollte man sich zur Verarbeitung der Diagnose Unterstützung von Familie, Freunden oder Bekannten aus einer Selbsthilfegruppe suchen.
Mein Kind hat eine Autismus-Diagnose bekommen. Was passiert normalerweise nach einer Diagnose – und was sollte geschehen?
Was bisher ein individuelles Anderssein des Kindes war, wird durch die Diagnose pathologisiert; das Kind gilt jetzt als gestört. Der medizinischen Logik folgend ist der nächste Schritt die Suche nach Heilung oder Therapie, und die meisten Eltern versuchen genau das. Das Kind, das vorher von seiner Umgebung Ablehnung erfahren hat, weil es sich nicht den Erwartungen entsprechend benommen hat, erfährt diese erneuten Versuche, sein Verhalten zu verändern, wiederum als Ablehnung; für das Kind bessert sich oft nichts.
Besser wäre es, die Eltern würden die Informationen über Autismus und besonders die Erfahrungen erwachsener Menschen im Autismus-Spektrum nutzen, um ihr Kind besser zu verstehen. Viele autistische Kinder nehmen z.B. Informationen bevorzugt über einen bestimmten Sinneskanal auf: Manche Kinder sind visuelle Lerntypen, dann muss man Dinge anhand von Bildern oder anderen visuellen Hilfsmitteln erklären, anstatt etwas erzählen, das sie (zumindest zu diesem Zeitpunkt) gar nicht aufnehmen können. Wenn die Eltern anfangen, auf solche Dinge zu achten, und verstehen, wo die Stärken und Schwächen ihres Kindes liegen, können sie ihrem Kind eine angepasste Lernumgebung schaffen und Rückzugsmöglichkeiten anbieten, wenn die Kinder unter Stress stehen. Das ist im Allgemeinen erfolgreicher (und für alle Beteiligten angenehmer) als zu versuchen, das Kind an die Umgebung anzupassen. Wir zeigen hier bei Autismus-Kultur viele Möglichkeiten, autistische Kinder zu verstehen und zu unterstützen.
Können durch eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum Nachteile entstehen?
Leider ja.
Beim Abschluss bestimmter Versicherungen muss man alle Diagnosen angeben und alle Ärzt_innen von der Schweigepflicht entbinden. Die Diagnose Autismus führt oft dazu, dass man entweder nicht erst versichert wird oder hohe Aufschläge bezahlen muss. In eine private Krankenversicherung wird man mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum im Allgemeinen nicht mehr aufgenommen. Auch wenn man bereits eine Psychotherapie gemacht hat, schrecken die privaten Krankenversicherungen oft vor einem Vertragsabschluss zurück.
Andererseits darf die private Krankenversicherung Dir wegen einer Autismus-Diagnose nicht kündigen, wenn Du bereits »drin« bist. Es kann also sinnvoll sein, vor einer diagnostischen Abklärung zu prüfen, ob man vom Abschluss einer privaten Krankenversicherung profitiert.
Eine Diagnose nach Abschluss der Versicherung kann bei einigen Versicherungen (z.B. fast allen Unfallversicherungen) zur Kündigung (bzw. zum Wegfall der Zahlungspflicht im Versicherungsfall) führen. Bevor man eine Diagnose anstrebt, sollte man also einen Blick in die Vertragstexte seiner abgeschlossenen Versicherungen werfen.
Es gibt weitere Situationen, in denen man Diagnosen angeben muss, z.B. eine Verbeamtung. Obwohl schwerbehinderte Menschen an sich nicht diskriminiert werden dürfen, kann die Verbeamtung abgelehnt werden, wenn tätigkeitsbezogene Beeinträchtigungen angenommen werden. Bei einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum können Gutachter_innen und Gerichte viele tätigkeitsbezogene Beeinträchtigungen annehmen, auch wenn die konkrete Person, um die es geht, sehr gut in der Lage ist, die Tätigkeit ohne Beeinträchtigungen auszuüben.
Wenn Menschen im Autismus-Spektrum Eltern werden, kann die Diagnose in einem eventuellen Streit um das Sorgerecht für die Kinder gegen sie verwendet werden. Es gibt zwar viele Eltern, die selbst im Autismus-Spektrum sind und das Sorgerecht für ihre Kinder haben. Uns sind inzwischen aber mindestens zwei Fälle bekannt geworden, in denen eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum verwendet wurde, um zu versuchen, jemandem das Sorgerecht zu entziehen. Sicherlich kann man dagegen vorgehen, aber es macht alles nicht einfacher.
Wenn Eltern eine Diagnose für ihr Kind anstreben, mag all das noch weit weg erscheinen. Aber die Diagnose bleibt oft in den Akten – und Eltern wissen nicht, wie ihr Kind sich entwickeln wird.
Eine psychiatrische Diagnose (und somit jede Diagnose aus dem Autismus-Spektrum) macht einen sehr verwundbar gegenüber Einschränkungen der Selbstbestimmung bis hin zu einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie oder einer Entmündigung (die heute verharmlosend »Betreuung« genannt wird). Die PatVerfü, eine Patientenverfügung gegen Zwangspsychiatrisierung, hilft, sich dagegen zu wehren.
Wer erfährt überhaupt von der Diagnose? Es gilt doch Schweigepflicht?
Ärzt_innen und ihre Angestellten haben natürlich Schweigepflicht. Leider kommt es hin und wieder vor, dass Ärzt_innen anzunehmen, man hätte sie von der Schweigepflicht entbunden, selbst wenn man es nie getan hat, besonders wenn Behörden, andere Ärzt_innen oder Personen, die sich als »Betreuer_innen« vorstellen, um Auskunft bitten.
Außerdem wird die Diagnose an die Krankenkasse weitergeleitet und dort gespeichert. Die elektronische Patientenakte, die zentral gespeichert wird und auf die andere Ärzt_innen mittels Krankenkassenkarte zugreifen können, wird dieses Problem noch verschärfen. Wenn man die diagnostische Abklärung allerdings privat bezahlt, erfährt die Krankenkasse nichts davon.
Ich habe sogar schon gehört, dass Leute das unter falschem Namen gemacht haben (und bar bezahlt), damit die Diagnose auch ganz sicher nicht offiziell mit ihnen in Verbindung gebracht werden kann. Mit einer Diagnose, die mit falschem Namen erstellt wurde, kann man natürlich nichts beantragen, aber in diesem Fall ging es wohl nur um die persönliche Gewissheit, ob Asperger-Autismus vorliegt oder nicht.
Manche Ärzt_innen nehmen Patient_innen leider nicht mehr ganz ernst, wenn sie von der Autismus-Diagnose erfahren. Sie trauen ihnen nicht mehr zu, gesundheitliche Probleme einzuschätzen oder Erklärungen dazu zu verstehen, reden mit ihnen wie mit kleinen Kindern oder tun jedes gesundheitliche Problem mit Kommentaren ab wie »Das ist psychosomatisch.«
Wenn die Diagnose im Rahmen eines Gutachtens erstellt wird, erfährt die Stelle (z.B. Behörde, Gericht), für die das Gutachten erstellt wird, davon. Und wenn man die Diagnose irgendwo vorzeigt, z.B. um etwas zu beantragen, kommt sie auch dort zu den Akten. Inwieweit Behörden solche Daten untereinander austauschen oder inwieweit hier Datenschutz (in Theorie und Praxis) greift, lässt sich für uns schwer abschätzen.
Wie kann ich mir ohne Diagnose sicher sein, dass ich autistisch bin/dass mein Kind autistisch ist?
Kann man sich durch eine Diagnose wirklich sicher sein? Es kommt vor, dass eine Person zu einem Psychotherapeuten geht und dort z.B. Borderline diagnostiziert bekommt, später zu einer anderen Therapeutin, die ihr mitteilt, sie habe kein Borderline, sondern Asperger-Syndrom. Es könnte wahrscheinlich auch umgekehrt laufen. Und dabei sind Borderline und Asperger-Syndrom wirklich sehr unterschiedlich.
Es gibt Diagnostiker_innen, die allen eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum verpassen, die mit der Vermutung Autismus zur diagnostischen Abklärung zu ihnen kommen. Andere sehen das Autismus-Spektrum enger und sind »sparsamer« mit Diagnosen. Je nachdem, zu wem man geht, bekommt man eine Diagnose oder nicht. Und man kann das nicht als (im mathematischen Sinne) richtig oder falsch bezeichnen – das Autismus-Spektrum kann man nicht scharf abgrenzen von »nicht-autistischen Spektrum«.
Keine Diagnose, aber eine ungefähre Orientierung kann ein Online-Test geben.
Oft wird z.B. eine Asperger-Diagnose zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem sich die Person in einer Krise befindet, z.B. aufgrund von Schulproblemen, Arbeitslosigkeit, Mobbing oder anderes. Sucht die Person dann Hilfe bei psychiatrisch-psychologischen Fachkräften, bekommt sie meist eine Diagnose verpasst. Diese Fachkräfte sind durch die Denkweise ihrer Fachrichtung darauf trainiert, die Schwächen ihrer Klient_innen zu psychologisieren. Den Ursachen für die Probleme wird das im Allgemeinen nicht gerecht; diese sind komplex und nie nur bei einer Person zu finden. Man kann oft beobachten, dass die Asperger-Diagnose nicht mehr als nötig oder »passend« empfunden wird, sobald es der Person gelungen ist, die Krise zu überwinden. Persönlichkeit und Fähigkeiten der Person haben sich vielleicht weiterentwickelt, aber nicht grundlegend verändert. War die Diagnose nun wahr oder falsch?
Vor diesem Hintergrund kann man die Frage stellen, was eine Autismus-Diagnose aussagt. Seine persönlichen Stärken und Schwächen (oder die des Kindes) kennt man meistens schon, bevor man sich zur diagnostischen Abklärung geht – meist sind es ja die persönlichen Schwächen, die zu der Vermutung Autismus geführt haben. Aber die Autismus-Diagnose an sich bringt nicht automatisch tiefere Einsichten mit sich.
Es kann jedoch helfen, sich mit anderen autistischen Menschen auszutauschen oder über das Leben im Autismus-Spektrum zu lesen, um sich selbst oder sein Kind besser zu verstehen und zu akzeptieren. Das Konzept Autismus ist insofern mehr Werkzeug als Wahrheit.
Deshalb: Wenn Du es hilfreich findest, informiere Dich über Autismus, fang an, Dich selbst oder Deine Kinder besser zu verstehen, lerne andere Menschen im Autismus-Spektrum kennen – aber eine Diagnose brauchst man dafür nicht.
Man braucht keine Diagnose, um autistisch zu sein. Meistens weiß man selbst am besten, wer man ist. Niemand anderes kann einem das sagen.
Vielleicht kommt man auch zu dem Schluss, dass man zwar mit autistischen Menschen einige Gemeinsamkeiten hat, sieht aber keine Notwendigkeit, sich oder seinem Kind ein Etikett zu verpassen. Wir sind schließlich alle Individuen.
Bis heute bin ich auf AS nie formal getestet worden. Bis heute habe ich niemanden in der Gegend, in der ich lebe, gefunden, der Erwachsene auf das Asperger-Syndrom hin evaluieren kann. Aber das ist auch ganz in Ordnung so. Ich brauche eigentlich keine Diagnose, um mir zu bestätigen, was ich schon weiß. Was ich benötige, das ist ein größeres Wissen darüber, wie ich meiner Tochter weiterhelfen kann, das sind Informationen darüber, wie ich mich selbst weiterentwickeln kann und wie ich der Öffentlichkeit dabei helfen kann, das Asperger-Syndrom zu verstehen.
Liane Holiday Willey, Autorin
Kann ich verhindern, dass ich eine Diagnose bekomme?
Ja. Und zwar mit einer PatVerfü, einer antipsychiatrischen Patientenverfügung.
Ich habe eine Diagnose, will aber keine.
Es ist zwar immer besser, eine PatVerfü zu verfassen, bevor man in die Situation kommt, sie zu brauchen. Weil viele Menschen aber nichts davon wissen oder denken, dass sie sie nie brauchen werden, tut das nicht jeder.
Prinzipiell kann die Patverfü auch helfen, wenn man bereits eine psychiatrische Diagnose hat. Das ist allerdings schwieriger und es kann sinnvoll sein, sich bei einer antipsychiatrischen Beratungsstelle oder einem_r auf diesem Gebiet versierten Anwält_in zur Vorgehensweise im Einzelfall beraten zu lassen.
Unabhängig davon sollte es möglich in vielen Fällen sein, die Diagnose aus den Akten löschen zu lassen. Ob das geht, hängt wesentlich davon ab, welche Stelle sie gespeichert hat. Denn auch hier gilt der Datenschutz: Personenbezogene Daten dürfen nur insofern gespeichert werden, sofern sie der Zweckerfüllung dienen.
Das heißt zum Beispiel, dass das Sozialamt bei Grundsicherungsempfänger_innen die Diagnose nicht speichern darf – weil sie zur Zweckerfüllung nicht notwendig ist. Anders sieht es aus, wenn man beim Sozialamt autismusspezifische Leistungen (z.B. Eingliederungshilfe) beantragt – in dem Fall darf die Diagnose Autismus gespeichert werden (aber auch hier nicht zeitlich unbegrenzt).
In jedem Fall kann man bei der jeweiligen Stelle Auskunft darüber verlangen, welche personenbezogenen Daten über einen selbst gespeichert sind. Die Antworten sind allerdings oft unzureichend, weil lediglich die Stammdaten (Name, Geburtsdatum etc.) aus dem Computer ausgedruckt werden. In vielen Fällen ist es zielführender, Akteneinsicht zu verlangen. Das kann auch ein_e Anwält_in oder eine Vertrauensperson mit deiner Vollmacht machen. Sollte sich dabei herausstellen, dass personenbezogene Daten (z.B. die Autismus-Diagnose) widerrechtlich gespeichert wurden, kann man deren Löschung verlangen.
Ich brauche eine Diagnose, um Unterstützung zu bekommen.
Das kann in der Tat ein Grund für eine Diagnose sein. Die Bürokratie braucht oft eine Diagnose, wenn man bestimmte Leistungen beantragt. Die Art und Menge an Unterstützung, die Menschen im Autismus-Spektrum benötigen, ist genauso unterschiedlich wie die Lebenslagen, in denen sie sich befinden. Deshalb sollte man immer individuell abwägen, ob eine Diagnose sinnvoll ist.
Es gibt Formen der Unterstützung, für die man keine Diagnose braucht. Dazu gehören Familie, Freunde, Selbsthilfegruppen.
Manchmal kann eine andere Diagnose weniger stigmatisierend sein und ebenfalls Zugang zu geeigneter Unterstützung ermöglichen. Bei einem Kind, das (typisch für Menschen im Autismus-Spektrum) Schwierigkeiten aufgrund einer abweichenden Wahrnehmungsverarbeitung hat, könnte z.B. eine sensorische Integrationsstörung diagnostiziert werden. Das ist nicht falsch und kann genauso zum Ziel (z.B. Ergotherapie) führen – ohne dass das Kind ein Leben lang eine psychiatrische Diagnose in den Akten stehen hat.
Besonders Erwachsene streben oft eine Diagnose an, weil sie »nicht mehr können«, durch den ständigen Versuch, »neurologisch typisch« zu wirken, überfordert und ausgelaugt sind – nur um dann festzustellen, dass sie auch mit Diagnose keine passende Unterstützung erhalten. Du solltest auf jeden Fall zuerst überlegen, welche Unterstützung Du brauchst und wie Du sie bekommen kannst. Dann kann man darüber nachdenken, ob eine Autismus-Spektrum-Diagnose dafür unbedingt nötig ist oder nicht.
Zuletzt bearbeitet am 02.02.2022.
Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus