Wir sind autistisch und das ist gut so.

Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen, um studieren zu können?

Grundsätzlich gelten für autistische Menschen dieselben Regeln für die Studienzulassung wie für andere Studieninteressierte auch. Weil behinderte Menschen aber bei der Studienzulassung nicht diskriminiert werden dürfen, gibt es ein paar Sonderregelungen.

Im Normalfall musst du das Abitur oder die Fachhochschulreife haben, um an einer Universität oder Fachhochschule studieren zu können. Wenn du im Ausland zur Schule gegangen bist, brauchst du einen Abschluss, der mit dem nötigen deutschen Abschluss gleichgestellt ist.

  • Abitur (Allgemeine Hochschulreife)
    wenn du das Abitur hast, darfst du grundsätzlich jeden Studiengang an allen deutschen Hochschulen studieren. Allerdings musst du oft weitere Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Welche das sind, erfährst du von den Studienberatungsstellen der Hochschulen.
  • Fachgebundene Hochschulreife
    Mit der fachgebundenen Hochschulreife wirst du in bestimmten Fächern zum Studium zugelassen. Welche Fächer das sind, kannst du meist deinem Schulzeugnis entnehmen.
  • Fachhochschulreife
    Die Fachhochschulreife berechtigt grundsätzlich zum Studium aller Studiengänge an allen Fachhochschulen oder entsprechenden Studiengängen an anderen Hochschulen. Wenn du in Hessen oder Niedersachsen studieren willst, gibt es eine Besonderheit: Du wirst mit der Fachhochschulreife meist auch an Universitäten zu Bachelorstudiengängen zugelassen.

Kann man auch ohne Abitur studieren?

In seltenen Fällen bekommen Personen ohne Abitur oder Fachhochschulreife die Studienzulassung. Dabei spielen besondere Umstände eine Rolle – zum Beispiel kann eine Person mit einem besonders großen Talent für Musik ausnahmsweise auch ohne Abitur für das Studium der Musikwissenschaften zugelassen werden.

Zulassungsbeschränkung

Für einige Studiengänge gibt es mehr Bewerber*innen als Studienplätze. Diese Studiengänge sind zulassungsbeschränkt – du musst dich um einen Platz bewerben.

Auf den Websites der Hochschulen erfährst du, welche Studiengänge zulassungsbeschränkt sind und welche Voraussetzungen du dafür erfüllen musst. Wenn du noch Fragen hast, kannst du die Studienberatung direkt kontaktieren.

  • Wenn die Zulassung für einen Studiengang bundesweit beschränkt ist, bewirbst du dich nicht bei der Hochschule, sondern bei der Stiftung für Hochschulzulassung.
  • Wenn die Zulassung örtlich eingeschränkt ist, bewirbst du dich bei der jeweiligen Hochschule.

Die häufigste Zulassungsbeschränkung ist die Durchschnittsnote deines Abschlusszeugnisses. Man spricht hier von »Numerus Clausus«, kurz NC.

Es kann aber auch andere Regelungen geben, zum Beispiel ein Eignungstest oder eine besondere Wertung der Note in einem bestimmten Fach.

Was musst du bei zulassungsbeschränkten Studiengängen beachten?

  • Es gelten Fristen für die Bewerbung, die du strikt einhalten musst.
  • Du kannst dich für mehrere Studiengänge bzw. an mehreren Hochschulen bewerben. Das ist oft sinnvoll – zum Beispiel, weil du dir oft nicht sicher sein kannst, dass du zugelassen wirst. Der notwendige Notendurchschnitt schwankt von Jahr zu Jahr und steht erst nach Ende der Bewerbungsfrist fest. Die Werte der Vorjahre können bei der Einschätzung helfen. Auch wenn du dir zum Zeitpunkt der Bewerbungsfrist noch nicht 100 % sicher bist, wo oder was du studieren willst, kannst du mehrere Bewerbungen abschicken.
  • Die Zulassung zu beschränkten Studiengängen läuft oft über den Notendurchschnitt im Abschlusszeugnis. Allerdings gestalten die Hochschulen die Zulassung zunehmend in Eigenregie. Möglicherweise musst du einen Eignungstest absolvieren. Informiere dich bei der jeweiligen Hochschule. Wenn du für den Eignungstest bestimmte Bedingungen brauchst (zum Beispiel einen Raum mit weniger Leuten, schriftliche Aufgaben statt mündliche), dann musst du dies vorher beantragen. Du hast ein Recht auf einen barrierefreien Eignungstest. In einigen Fächern, zum Beispiel bei künstlerischen und sportwissenschaftlichen Studiengängen, gibt es generell ein gesondertes Verfahren, um die Eignung festzustellen.
  • Wenn du dir nicht sicher bist, ob du deinen Wunschplatz bekommst, ist es sinnvoll, einen Plan B zu entwickeln – dazu unten mehr.
Autismus und Studienzulassung: Ortsantrag, Nachteilsausgleich auf Verbesserung der Durchschnittsnote oder Wartezeit

Studienzulassung: Besondere Regelungen für Studierende mit Behinderung

Studierende mit Behinderung können mehrere Sonderanträge stellen:

Härtefallregelung

Zwischen zwei und fünf Prozent der Studienplätze sind für Menschen reserviert, für die eine Ablehnung eine „außergewöhnliche Härte“ darstellen würde. Das ist zum Beispiel bei einer Krankheit mit Tendenz zur Verschlimmerung der Fall. Es muss dann eine solche Verschlimmerungsprognose vorliegen, dass es später nicht mehr möglich wäre, ein Studium aufzunehmen. Autistisch zu sein oder ein Schwerbehindertenausweis an sich reicht nicht für einen Härtefallantrag.

Ortsantrag (Antrag auf bevorzugte Berücksichtigung des ersten Studienortwunsches)

In dem Ortsantrag kannst du Umstände geltend machen, die dich an einen bestimmten Studienort binden. Die zwingende Bindung an den jeweiligen Ort muss mit einem fachärztlichen Gutachten begründet werden, aus dem sich ergibt, dass du an den gewünschten Studienort gebunden bist.

Eine Begründung, warum du nicht umziehen kannst, könnte zum Beispiel sein, dass

  • du dich autismusbedingt deine gewohnte Umgebung brauchst und mit einem Wechsel nicht zurechtkommen würdest.
  • du autismusbedingt die Unterstützung deiner Eltern im Alltag benötigst,
  • es dir autismusbedingt schwerfällt, neue Kontakte zu knüpfen, und du in der neuen Umgebung isoliert bleiben würdest.

Das Gutachten kann mehrere Gründe benennen.

Der Ortsantrag spielt nur bei Studiengängen eine Rolle, für die du dich zentral über die Stiftung für Hochschulzulassung bewirbst.

Antrag auf Nachteilsausgleich zur Verbesserung der Durchschnittsnote

Bei der Vergabe von zulassungsbeschränkten Studiengängen ist der Notendurchschnitt ein entscheidendes Kriterium. Wenn man durch besondere Umstände daran gehindert wurde, eine bessere Leistung zu erbringen, soll das über diesen Antrag ausgeglichen werden.

Dieser Antrag kann sich für Autist*innen lohnen. Wenn du eine Autismus-Diagnose und/oder einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 50 % oder mehr hast und annimmst, dass du die Verbesserung des Notendurchschnitts brauchen könntest, solltest du den Antrag stellen. Die Antragstellung ist allerdings aufwendig.

Überlege dir, was dich in der Schule daran gehindert hat, eine bessere Leistung zu bringen. Einige Beispiele könnten sein:

  • autismusbedingte Probleme mit mündlicher Mitarbeit,
  • Reizüberflutung oder leichte Ablenkbarkeit in einer reizintensiven Umgebung wie einem üblichen Klassenzimmer und daraus folgende Konzentrationsschwierigkeiten,
  • schlechte Sportnoten aufgrund autismustypischer Koordinationsprobleme,
  • Notenabzug wegen unordentlicher Darstellung bei feinmotorischen Problemen,
  • Probleme mit Gruppenarbeiten,
  • Probleme mit unklaren Aufgabenstellungen, oder
  • Probleme mit bestimmten Fächern (zum Beispiel Gedichtinterpretation, oder Quelleninterpretation im Geschichtsunterricht), die mit Autismus im Zusammenhang stehen können.

Du musst hier ein bisschen strategisch denken. Mobbing kann definitiv ein Grund für schlechtere Leistungen sein, aber das müsstest du wahrscheinlich durch ein Schulgutachten belegen, und die wenigsten Schulen werden dir attestieren, dass du dort gemobbt wurdest. Wenn du aber aufgrund von Mobbing Schulangst oder andere psychische Probleme entwickelt hast, kannst du das mittels eines fachärztlichen Gutachtens belegen. Die Schule kann dann die Fehlzeiten bestätigen.

Generell kann das Schulgutachten ein Problem sein, weil die Schule damit im Prinzip bestätigt, dass sie dich diskriminiert hat, indem sie dir keinen Nachteilsausgleich gewährt hat.

Überlege dir also, welche Belege du wofür bekommen kannst.

Wichtig: Nicht nur Autismus zählt. Wenn bei dir eine andere Behinderung, eine Lernstörung oder Krankheit diagnostiziert ist, kannst du deine Begründung auch davon ableiten (zum Beispiel Angststörung, Depression, Lese-Rechtschreibstörung, Dyskalkulie).

Antrag auf Nachteilsausgleich zur Verbesserung der Wartezeit

Diesen Antrag kannst du stellen, wenn du aufgrund von Autismus, einer anderen Behinderung oder anderen besonderen Umständen, die außerhalb deiner Kontrolle waren, deine Hochschulreife später gemacht hast. (Die Wartezeit zählt ab dem Erlangen der Hochschulreife.) Die Kriterien sind vergleichbar mit jenen für den Antrag auf Nachteilsausgleich zur Verbesserung der Durchschnittsnote.

Was muss ich bei Sonderanträgen beachten?

Bei allen Sonderanträgen gilt:

  • Diese Anträge müssen direkt bei der Abgabe der Bewerbung um einen Studienplatz eingereicht werden.
  • Als Nachweis benötigst du ein fachärztliches Gutachten, manchmal außerdem ein Gutachten deiner Schule. Ein Schwerbehindertenausweis oder der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes sind als zusätzliche Nachweise geeignet. Allerdings reicht das Vorhandensein einer Schwerbehinderung als Grund alleine nicht aus.
  • Informiere dich genau, welche Unterlagen du deinem Antrag beilegen musst und in welcher Form (beglaubigte Kopie, Dienstsiegel …). Du erfährst das üblicherweise auf der Website der Institution, bei der du dich bewirbst, also der Stiftung für Hochschulzulassung oder der jeweiligen Hochschule. Wenn du dir nicht sicher bist, kannst du per E-Mail nachfragen. Die Uni Regensburg zum Beispiel beschreibt ihre Anforderungen im Detail.
  • Generell ist es wichtig, genau zu begründen – also nicht nur deine Autismus-Diagnose beizulegen, sondern ein Gutachten, aus dem hervorgeht, warum dein Antrag genehmigt werden sollte.

Was kann ein Plan B sein?

Vielleicht wirst du für deinen Wunsch-Studiengang an deiner Wunsch-Uni nicht zugelassen. Für diesen Fall ist es sinnvoll, einen Plan B zu haben (und vielleicht sogar einen Plan C, D, E).

  • Bist du örtlich flexibel? Ein Studiengang kann an einer Hochschule zugangsbeschränkt sein und an einer anderen nicht, oder die Zulassungsvoraussetzungen sind andere. Eventuell kannst du nach einigen Semestern an deine bevorzugte Hochschule wechseln.
  • Ist ein Auslandsstudium eine Option? Österreich ist zum Beispiel für einige Studiengänge ein beliebter Ausweichort. Innerhalb der EU gelten für alle EU-Bürgerinnen dieselben Voraussetzungen und Studiengebühren. (Das bedeutet, dass du nicht mehr Gebühren zahlen musst als die Studierenden aus dem jeweiligen Land. Je nach Land können aber Studiengebühren für alle Studierenden anfallen.) Allerdings können die Sprache und das Leben in einem anderen Land eine Herausforderung darstellen.
  • Gibt es einen anderen Studiengang, der dich ebenfalls interessiert, der aber zulassungsfrei ist oder bei dem die Zulassungsbeschränkungen niedriger sind? Studiengänge, die eine andere Bezeichnung haben, können manchmal ähnliche Inhalte haben und zu einer ähnlichen beruflichen Ausrichtung führen. Eine gute Recherche und eine Studienberatung können hier weiterhelfen.
  • Oft ist eine Einschreibung zum Sommersemester möglich und der NC kann dann niedriger sein. Sieh dir die NCs der vergangenen Jahre an. Wenn das aussichtsreich aussieht, überlege dir, wie du die Zeit sinnvoll füllen kannst. Möglichkeiten sind zum Beispiel ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr (FSJ/FÖJ) oder eine Berufsorientierung.
  • Manchmal ist möglich, als Quereinsteiger in einen Studiengang zu wechseln. Du schreibst dich für ein anderes Fach ein, besuchst aber die Veranstaltungen deines Lieblingsfachs und schreibst dort Klausuren oder Hausarbeiten, um Scheine (Leistungsnachweise) zu bekommen. Mit den Scheinen kannst du dich möglicherweise in ein höheres Semester einschreiben – diese sind meist nicht mehr zulassungsbeschränkt. Achtung: In vielen Fächern darfst du die Scheine nur machen, wenn du für den jeweiligen Studiengang eingeschrieben bist. Es kann auch sein, dass der Quereinstieg generell nicht zugelassen ist. Mögliche Anlaufstellen für Fragen dazu sind die Fachschaft und die Studienberatung des jeweiligen Studiengangs. Du findest ihre Kontaktdaten auf der Hochschulwebsite.
  • Wenn du den Notendurchschnitt nicht erfüllst, kannst du für manche Studiengänge auch über Wartezeit zum Studium zugelassen werden. Das dauert allerdings oft mehrere Jahre, während dieser du nicht an einer Hochschule eingeschrieben sein darfst. Du solltest diese Zeit sinnvoll füllen, zum Beispiel durch ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr (FSJ/FÖJ), eine Ausbildung oder eine Berufsorientierung. (Achtung: Nachdem du eine Ausbildung abgeschlossen hast, hast möglicherweise du keinen Anspruch mehr auf Bafög. Informiere dich genau über die Regelungen.)
  • Regelmäßig klagen Leute sich in einen Studiengang erfolgreich ein. Du kannst dich darüber informieren, ob das eine Option für dich sein könnte.

Checkliste

  • Erfüllst du die grundlegenden Zulassungsvoraussetzungen zum Studium?
  • Ist dein Wunsch-Studiengang zulassungsbeschränkt? An einigen Hochschulen oder an allen?
  • Wo musst du dich bewerben?
  • Wann ist die Bewerbungsfrist?
  • Was brauchst du zur Bewerbung?
  • Willst du einen Sonderantrag stellen? Welche Unterlagen brauchst du dafür?
  • Brauchst du einen Plan B?
  • Erstelle eine Liste aller Unterlagen, die du brauchst:
    • für die Bewerbung (oder die Bewerbungen, wenn du dich an mehreren Hochschulen bewirbst),
    • die Einschreibung,
    • eventuell den Sonderantrag, und
    • deinen Plan B.

Notiere dir die Fristen und plane entsprechend voraus. Manche Unterlagen brauchen Zeit (das gilt insbesondere für ärztliche Gutachten und Schulgutachten).

Zuletzt bearbeitet am 26.04.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus