Wir sind autistisch und das ist gut so.

Falls du dich fragst, ob du, dein Kind oder deine Partnerperson autistische Züge hat, ist dieser Artikel für dich.

Hier geht es darum,

  • was häufige autistische Züge und Symptome sind,
  • wie du Autismus bei Kindern und Erwachsenen erkennen kannst,
  • wie der Begriff »autistische Züge« in Psychologie und Psychiatrie verwendet wird.

Was sind autistische Züge?

Autistische Züge sind Beeinträchtigungen der sozialen Kommunikation und Interaktion und im sozialen Verständnis. Auch intensive, eng umgrenzte Interessen und wiederholte, stereotype Verhaltensweisen gehören dazu. Typisch sind wenig Blickkontakt, wenig Verständnis nonverbaler Kommunikation wie Mimik oder Körpersprache.

Autistische Züge
Autistische Züge

Diese autistischen Züge sehen wir uns jetzt im Einzelnen an.

Autistische Züge: Symptome

Du findest hier häufige Autismus-Anzeichen. Folgendes ist dazu wichtig:

  • Typischerweise haben autistische Menschen nicht alle dieser Auffälligkeiten. Tatsächlich sind manche genau entgegengesetzt, zum Beispiel sehr viel oder sehr wenig zu reden.
  • Es ist wichtig zu wissen, dass jeder Mensch Autismus anders erlebt – und dass keine zwei Menschen auf dem Spektrum genau dieselben Anzeichen und Merkmale aufweisen. (Siehe auch: Was ist Autismus?)
  • Ebenso ist es wichtig, dass hinter einem bestimmten Verhalten unterschiedliche Gründe stecken können. Außer Autismus kommen auch psychische Krankheiten oder Störungen, bestimmte Lebensumstände oder andere neurologisch bedingte Konditionen wie zum Beispiel ADHS infrage.
  • Tatsächlich sind viele der genannten Verhaltensweisen zu einem gewissen Grad »normal«. Viele nicht-autistische Menschen werden einige der Anzeichen haben.
  • Autistische Menschen haben mehr dieser Anzeichen, die Eigenschaften sind stärker ausgeprägt, und sie können zu Beeinträchtigungen im Leben führen.
  • Es gibt autistische Menschen, die nicht oder kaum sprechen können oder spät zu sprechen anfangen (siehe: »Frühkindlicher Autismus«). Und es gibt andere, nicht oder kaum als autistisch auffallen und oft bis ins Erwachsenenalter nicht als autistisch erkannt werden. In diesem Artikel geht es vor allem um letztere: um Menschen, die möglicherweise autistisch sind, aber deren autistische Züge oft nicht erkannt werden.
  • Es kann schwierig, einzuschätzen, was »normal« ist. Letztlich ist auch normal, autistisch zu sein – es ist normal für Autisten. Wenn du dir überlegst, ob ein Merkmal auf dich (oder eine andere Person) zutrifft, vergleiche doch einmal mit einer eindeutig nicht-autistischen Person. Siehst du einen Unterschied?

Soziale Interaktion und Kommunikation

  • Sie haben Schwierigkeiten, soziale Situationen intuitiv zu erfassen. Stattdessen verwenden sie ihren Verstand, um sie zu enträtseln.
  • Sie finden es schwierig einzuschätzen, welches Verhalten in einer bestimmten (sozialen) Situation erwartet wird.
  • Es fällt ihnen schwer, sich an einer Unterhaltung zu beteiligen.
  • Es fällt ihnen schwer, ein Gespräch zu beginnen, zu führen und zu beenden.
  • Sie reagieren in einer Unterhaltung eher auf das, was die andere Person sagt. Es fällt ihnen aber zum Beispiel schwer, das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken.
  • Sie sprechen mit einer eher flachen, monotonen Stimme oder sprechen wenig.
  • Oder: Sie dominieren Gespräche, reden aber nur über ihr Lieblingsthema.
  • Sie haben Schwierigkeiten, sich in die Gedanken oder Gefühle anderer (nicht-autistischer) Menschen hineinzuversetzen.
  • Es fällt ihnen schwer, die Körpersprache und die Emotionen anderer zu erkennen. Sie können zwar in der Regel erkennen, ob jemand die Mundwinkel nach oben oder nach unten zieht. Aber ob das Gesicht und der Tonfall echte Freude oder nur Höflichkeit ausdrücken, das kann sehr schwer zu erkennen sein.
  • Ihre eigene Körpersprache kann ungewöhnlich sein und kommuniziert möglicherweise nicht das, was sie empfinden.
  • Sie finden es einfacher, entweder einen Vortrag zu halten oder einfach nur zuzuhören, als sich auf ein wechselseitiges Gespräch einzulassen.
  • Sie finden es schwierig, in einem wechselseitigen Gespräch den richtigen Zeitpunkt zu finden, um mit dem Sprechen anzufangen. Deshalb unterbrechen sie, ohne es zu wollen.
  • Sie haben Schwierigkeiten, soziale Signale zu deuten.
  • Sie finden »Smalltalk«, wie zum Beispiel Gespräche über das Wetter und die Aktivitäten anderer, schwierig.
  • Sie sind unverblümt in ihrer Beurteilung von Menschen und Dingen.
  • Es fällt ihnen schwer, Blickkontakt zu halten, während sie mit jemandem sprechen, weil es sie ablenkt oder sie es unangenehm finden.
  • Es fällt Ihnen schwer, enge Freundschaften und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
  • Die Interaktion mit mehreren Menschen in einer Gruppe ist schwierig, ebenso Partys und andere gesellschaftliche Zusammenkünfte.
  • Sie knüpfen soziale Kontakte am ehesten über gemeinsame Interessen, zum Beispiel in einem Verein.
  • Sie merken sich möglicherweise Sätze, die in bestimmten sozialen Situationen verwendet werden können. Smalltalk kann dadurch von außen natürlich aussehen, kommt aber auf eine ganz andere Art zustande als bei nicht-autistischen Menschen.
  • Sie haben manchmal Probleme bei der Wortfindung.
  • Sie haben eine Tendenz, Gesagtes wörtlich zu nehmen. Das kann sich auf Redewendungen und Ironie beziehen, oder auf Phrasen und Floskeln. Zum Beispiel wird auf die Frage »Wie geht’s?« allgemein eine positive Antwort erwartet und kein Bericht darüber, wie es einem wirklich geht. Viele autistische Menschen verstehen das zwar, finden es aber trotzdem schwierig, darauf zu antworten und antworten vielleicht jedes Mal einsilbig »gut«.
  • Sie wirken oft steif, weil sie nicht wissen, weil sie Witze, Späße, subtile Anspielungen, Smalltalk und Floskeln entweder nicht verstehen oder nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen.
  • Vielen autistischen Menschen fällt es schwer, über ihre Gefühle zu reden.

Autistische Verhaltensweisen

  • Sie beschäftigen sich intensiv mit einem (möglicherweise sehr speziellen) Interessengebiet.
  • Oft mögen sie einen festen Tagesablauf mit beständigen Routinen. Änderungen in diesem Ablauf können Stress auslösen.
  • Sie mögen Vorhersehbarkeit und Planbarkeit.
  • Wenn sie eine komplexe Aufgabe im Kopf durchplanen und sich dann ein Detail daran ändert, müssen sie möglicherweise die ganze Aufgabe noch einmal neu durchplanen.
  • Sie verwenden möglicherweise Stimming. Das sind sich wiederholende Bewegungen oder Äußerungen, die vielfältige Funktionen erfüllen können. Diese können auch unauffällig sein, wie beispielsweise lange Haare um die Finger zu drehen oder vor sich hinzusummen.
  • Sie haben Schwierigkeiten beim Multitasking. Zwischen verschiedenen Aktivitäten hin- und herzuwechseln ist anstrengend und sie brauchen dabei mehr Zeit.
  • Sie können sich lang und intensiv auf eine Aktivität fokussieren, besonders, wenn sie ihren Interessen entspricht.
  • Viele brauchen nach sozialen Interaktionen mit anderen Menschen viel Zeit für sich allein, um sich zu erholen.

Wahrnehmungsverarbeitung

  • Sie nehmen Details in ihrer Umgebung wahr, die anderen entgehen.
  • Eine reizintensive Umgebung (Party, Bahnhof, Großraumbüro …) kann sehr belastend sein.
  • Sie können bestimmte Geräusche, Gerüche oder Texturen (die für andere normal oder nicht unangenehm sind) nicht oder kaum ertragen.
  • Gleichermaßen mögen sie andere sensorische Reize sehr und haben vielleicht eine Lieblingstextur, einen Lieblingsgeruch oder -geräusch.
  • Vielleicht haben sie ungewöhnlich starke Vorlieben und Abneigungen gegenüber bestimmten Lebensmittel. Vielleicht ernähren sie sich deshalb eher einseitig.
  • Kleidung muss sensorisch angenehm sein, sie darf nicht kratzen, scheuern oder drücken. Das Etikett kann stören.
  • Sie spüren möglicherweise den eigenen Körper etwas weniger. Das kann man selbst nicht gut feststellen, weil es sich schwer vergleichen lässt. Es äußert sich in einer gewissen körperlichen Ungeschicklichkeit – zum Beispiel darin, dass man im Sport nicht gut koordiniert ist oder eine schlechte Handschrift hat.

Mehr Informationen zu Autismus und Wahrnehmung.

Autistische Stärken

Autistische Menschen können sehr unterschiedliche Stärken haben. Aber es gibt einige Stärken, die viele Autisten gemeinsam haben.

Autistische Züge: Stärken von Autisten
Bildbeschreibung

Autismus: Das Positive

Die unterschiedlichen Arten, wie wir denken und handeln, zu verstehen, anzunehmen und zu feiern, kann das wahre Potenzial autistische Menschen zu entfesseln. Hier zeige ich euch die positiven Seiten von Autismus.

  • Intensiver Fokus
    • Konzentration
    • Frei von Ablenkungen
  • Aufmerksamkeit für Details
    • Gründlichkeit
    • Exaktheit
  • Fakten aufnehmen und behalten
    • Exzellentes Langzeitgedächtnis
    • Überragende Erinnerung
  • Expertise
    • Tiefgründiges Wissen
    • Kenntnisse auf hohem Niveau
  • Visuelle Fähigkeiten
    • Visuelles Denken und Lernen
    • Detailorientiert
  • Beobachtungsgabe
    • Durch Beobachten und Hinsehen lernen
    • Fakten finden
  • Beharrlichkeit und Resilienz
    • Zielstrebigkeit
    • Herausfordern gängiger Ansichten
  • Methodisches Vorgehen
    • Analytisch
    • Mustererkennung
  • Neue Herangehensweisen
    • Einzigartige Denkprozesse
    • Innovative Lösungen
  • Kreativität
    • Originelle Fantasie
    • Einzigartige Ideen
  • Akzeptanz von Unterschieden
    • Urteilen weniger über andere
    • Stellen u.U. Normen infrage
  • Integrität
    • Ehrlich, loyal
    • Engagiert

Denk dran: Alle autistischen Menschen sind unterschiedlich. Niemand wird sich mit jedem einzelnen positiven Merkmal von Autismus identifizieren. Wir haben alle individuelle Fähigkeiten, Eigenschaften und Charakteristika, die so einzigartig sind wie unsere Persönlichkeiten. Das ist die große Stärke von Neurodiversität.

Diese Dinge können je nach Tag, Situation oder sogar Jahr variieren, je nachdem, was sonst noch im Leben eines Menschen vor sich geht.

Einige Autistinnen sind hervorragende Rednerinnen, können aber nach einem wichtigen Vortrag ein paar Tage lang mit niemandem sprechen, weil sie sich wieder »aufladen« müssen.

Andere Autisten gehen vielleicht an einem Tag auf ein Rockkonzert und genießen es, finden aber an einem anderen Tag das Ticken der Uhr unerträglich.

Autistische Züge bei Erwachsenen

Autistische Züge bei Erwachsenen umfassen Schwierigkeiten in sozialen Situationen, zum Beispiel beim Verstehen von Körpersprache, Gruppendynamik, Andeutungen oder Sarkasmus; intensive Interessen, repetitive Verhaltensweisen oder Routinen; Unterschiede in der Wahrnehmungsverarbeitung sowie Probleme mit Veränderungen.

Zu den Anzeichen oder Merkmale von Autismus bei Erwachsenen zählen zum Beispiel:

  • Die Anzeichen oder Merkmale sind für die Menschen in ihrer Umgebung nicht offensichtlich.
  • Die Menschen um sie herum sind sich der Symptome von Autismus nicht bewusst.
  • Die Besonderheiten haben keine signifikanten Auswirkungen auf die Person und beeinträchtigen ihr Leben nicht.
  • Die Person hat Strategien erlernt, um ihre Herausforderungen zu bewältigen, einschließlich der Maskierung oder Verschleierung ihrer Auffälligkeiten.
  • Die Person scheut die finanziellen und emotionalen Kosten einer Diagnose.
  • Die Person hat eine andere Diagnose, die einige der gezeigten Anzeichen und Merkmale erklären könnte.
  • Die Person identifiziert sich selbst als autistisch, sieht aber keine Vorteile in einer offiziellen Diagnose, oder befürchtet Nachteile.

Einige Erwachsene, die autistische Züge haben und nicht offiziell diagnostiziert wurden, lernen, ihr Leben gut zu meistern. Sie können tiefer gehende Beziehungen aufbauen, eine befriedigende berufliche Laufbahn einschlagen und eine ausgezeichnete Lebensqualität erreichen.

Andere Erwachsene, die autistische Züge haben und bei denen keine offizielle Diagnose gestellt wurde, empfinden das Leben jedoch auch als schwierig und in einigen Bereichen als sehr schwierig.

Oft haben sie das Gefühl, dass »alle anderen anders sind«, und es vielleicht fällt es ihnen schwer, tiefer gehende Beziehungen zu knüpfen oder eine erfüllende Arbeit zu finden, obwohl sie diese Dinge gerne hätten. Dies kann sich auf ihre psychische und körperliche Gesundheit und ihr Wohlbefinden auswirken.

Vielleicht ist dein Leben eine Mischung aus diesen beiden Polen.

Das Leben autistischer Erwachsener:

  • Sie bringen oft hervorragende Leistungen in einem gewählten Studienfach. Die sozialen, sensorischen und organisatorischen Aspekte des Studiums können jedoch eine Herausforderung sein.
  • Sie haben oft sehr gute Fachkenntnisse in ihrem erlernten Beruf.
  • Trotz ihres Fachwissens und ihren Abschlüssen haben sie oft große Schwierigkeiten, einen Job zu finden oder zu behalten. In Bewerbungsgesprächen kommen sie oft nicht gut an, und die Interaktion mit Kolleg*innen und Kund*innen ist kompliziert für sie.
  • Sie haben meist Spaß am selbstständigen Arbeiten, aber Schwierigkeiten mit Teamwork.
  • Sie haben Schwierigkeiten, Leute kennenzulernen, Freundschaften aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
  • Sie haben oft Schwierigkeiten, ihren Alltag zu organisieren. Zum Beispiel telefonieren viele Autisten ungern und schieben es daher auf, einen Termin bei einem Arzt oder mit einer Handwerkerin zu machen. Vielleicht haben sie Schwierigkeiten, »Papierkram« rechtzeitig zu erledigen oder mit anderen Aspekten des Alltags.
  • Vielleicht haben sie eine Partnerschaft und/oder Kinder, vielleicht auch nicht.
  • Oft haben sie das Gefühl, dass sie irgendwie anders sind als andere Menschen. Aber bevor sie von Autismus erfahren, ist dieses Anderssein möglicherweise schwer zu definieren. Es gibt auch autistische Erwachsene, die gar nicht bemerken, dass sie sich anders fühlen oder verhalten als andere Menschen.

Es ist nicht selten, dass autistische Erwachsene bereits eine andere Diagnose haben.

Vielleicht haben sie das Gefühl, dass die Diagnose nicht passt, oder dass da »mehr« ist – die Diagnose erklärt nur einen Teil ihrer Schwierigkeiten.

Wenn Menschen mit guten sprachlichen Fähigkeiten autistisch sind, spricht man manchmal vom »Asperger Autismus oder Asperger-Syndrom». Offiziell ist das Asperger-Syndrom inzwischen Teil der Diagnose »Autismus-Spektrum-Störung« (ASD).

Mehr dazu:

Autistische Züge bei Kindern

Hat mein Kind autistische Züge?

Kinder mit autistischen Zügen haben oft Stärken in einigen Bereichen und Schwächen in anderen, vor allem im sozialen Verständnis und dem Umgang mit anderen Menschen. Möglicherweise bestehen sie auf festen Routinen, haben Schwierigkeiten mit Veränderungen und beschäftigen sich intensiv mit ihrem Lieblingsthema.

  • Eltern stellen oft fest, dass ihr Kind gute intellektuelle Fähigkeiten hat und können dann nicht verstehen, warum es scheinbar einfachste Dinge nicht kann. Zum Beispiel kann ein Kind ein enormes Wissen über die Geschichte der Tudors haben, aber nicht in der Lage sein, sich die Schuhe zuzubinden.
  • Manche Leute meinen vielleicht, dem Kind mangele es an »gesundem Menschenverstand«.
  • Möglicherweise bewegen sie sich ungelenk, haben eine schlechte Haltung oder wenig Muskelspannung.
  • Sie sind im Sport oft ungeschickt. Ihre Handschrift ist möglicherweise schlecht leserlich.
  • Sie haben vielleicht Eigenarten, die eigentümlich erscheinen. Möglicherweise bestehen sie auf festen Routinen oder bestimmten Gegenständen.
  • Sie können sehr ehrlich und direkt sein. Dadurch wirken sie manchmal unhöflich – ohne dass sie die Absicht haben, jemanden zu verletzen.
  • Oft unterscheidet sich ihr Verhalten in Schule und Zuhause sehr stark: In der Schule geben sie sich große Mühe, sich anzupassen, weshalb Lehrkräfte oft keine Probleme sehen. Zu Hause lassen sie den angestauten Stress dann raus.
  • In der Schule sind sie oft Außenseiter.
  • Sie sind häufig Opfer von Mobbing.
  • Nicht alle autistischen Kinder sind sich bewusst, dass sie anders sind als die meisten anderen Kinder. Wenn sie es im Laufe der Zeit merken, ist es oft eine schmerzliche Erfahrung.
  • Sie haben oft das Gefühl, dass niemand sie versteht.

Die frühe Entwicklung kann unterschiedlich verlaufen. Manche autistischen Kinder fangen erst spät (oder gar nicht) an zu sprechen, andere sprechen zur üblichen Zeit oder sogar sehr früh. Eine Diagnose ist frühestens möglich, wenn das Kind zwei Jahre alt ist, bei leichten Formen von Autismus werden die Besonderheiten erst später sichtbar.

Weitere Informationen:

Autistische Züge bei Mädchen und Frauen

Früher dachten Wissenschaftler*innen, dass viel mehr Jungen autistisch seien als Mädchen.

Das hat verschiedene Gründe:

Autismus wurde vor allem anhand der Beobachtung von Jungen beschrieben. Die »typischen« Charakteristika und Beispiele sind die typischen Charakteristika autistischer Jungen.

Bei Mädchen äußert sich Autismus anders.

Deshalb werden sie oft nicht als autistisch erkannt.

Mädchen und Frauen sind oft besser darin, ihren Autismus zu maskieren oder zu verstecken: Oberflächlich wirken sie normal, darunter verbergen sich große Anstrengungen, um diesen Anschein aufrechtzuerhalten.

  • Die Interessen von Jungen und Männer im Autismus-Spektrum gelten oft Themen wie Eisenbahnen, Computer oder Astronomie. Autistische Mädchen und Frauen können dieselben Interessen haben, aber es ist wahrscheinlicher, dass sie sich zum Beispiel für Literatur, Kunst, Tiere oder Umweltschutz interessieren. Diese Interessen werden in der Regel nicht mit Autismus in Verbindung gebracht.
  • Sie können still und schüchtern sein, halten sich oft eher am Rande des Geschehens auf und versuchen, nicht aufzufallen.
  • Mädchen und Frauen im Autismus-Spektrum bemühen sich oft sehr, ihre Verwirrung in Bezug auf soziale Regeln zu tarnen und diese zu entschlüsseln. Möglicherweise beobachten sie andere Leute sehr genau, merken sich deren Verhalten und Phrasen und ahmen sie nach, um ihr Anderssein zu verbergen.
  • Diese unsichtbare Arbeit kann zu großer Erschöpfung führen. Sie achten möglicherweise sehr darauf, andere Menschen zufriedenzustellen, indem die deren Erwartungen erfüllen. Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse stellen sie oft in den Hintergrund. Wenn sie in der Öffentlichkeit ständig eine Rolle spielen, fragen sie sich vielleicht irgendwann, wer sie eigentlich selbst sind.
  • Möglicherweise ziehen sie sich in Fantasie-Welten (zum Beispiel Bücher) oder in die Natur zurück, um sich zu entspannen und sie selbst sein zu können.
  • Möglicherweise haben sie in sozialen Situationen Angst. Das kann dazu führen, dass eine Soziale Angststörung diagnostiziert wird, ohne dass erkannt wird, dass sie autistisch sind.
  • In der Kindheit haben sie möglicherweise ein oder zwei Freunde, oder sie spielen allein.
  • Möglicherweise haben sie eine Abneigung gegen Trends, Mode und feminine Kleidung. Oft kleiden sie sich eher praktisch und bequem. Als Jugendliche und junge Erwachsene wirken sie deshalb möglicherweise unreif, weil sie nicht mit den Trends gehen und nicht mit gesellschaftlichen (Teenager-)Normen übereinstimmen.
  • Oft haben autistische Frauen eine Partnerschaft und Familie haben. Tatsächlich stoßen viele erst dann auf das Thema Autismus, wenn eines ihrer Kinder als autistisch diagnostiziert wird.

Autistische Frauen und Mädchen werden oft nicht als autistisch erkannt.

Autistische Mädchen und Frauen werden von unserer Gesellschaft allein gelassen.

Ihre Probleme sind unsichtbar, aber sie sind real.

Oft wissen sie bis weit ins Erwachsenenalter nicht, dass sie autistisch sind. Das Wissen um Autismus kann aber sehr wert voll sein.

Wenn du denkst, dass du oder deine Tochter autistisch seid und eine Diagnose hilfreich wäre, dann lass dich nicht mit der lapidaren Aussage »autistische Züge« abspeisen. Sie sind keine richtige Diagnose. Suche nach einer Diagnostiker*in in deiner Region, die auch Mädchen bzw. Frauen diagnostizieren kann.

Habe ich autistische Züge?

Wenn du denkst, dass du (oder jemand anderes) autistische Züge hast, fragst du dich vielleicht, wie es jetzt weiter geht.

Ich rate dir, dich weiter über Autismus zu informieren. Ich habe auf Autismus-Kultur zahlreiche Artikel zu verschiedenen Aspekten von Autismus.

Zudem findest du hier einen Online-Test auf Autismus. Der Test kann dir natürlich nicht sicher sagen, ob du autistisch bist, aber er kann dir eine gewisse Wahrscheinlichkeit anzeigen.

Du kannst auch eine diagnostische Abklärung anstreben, die dann zu einer offiziellen Autismus-Diagnose führen kann.

Ob du das möchtest oder nicht, ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Nimm dir Zeit, darüber nachzudenken, und lass dir nicht von anderen Menschen hineinreden.

Eine offizielle Diagnose ist sinnvoll und wichtig, wenn man bestimmte Formen von Unterstützung benötigt, zum Beispiel eine bestimmte Therapie, Nachteilsausgleich, ambulant unterstütztes Wohnen, Assistenz oder ähnliches.

Für mich war nicht die offizielle Diagnose das wichtigste (obwohl die Bestätigung gut tat), sondern das Wissen um Autismus.

Manchen Menschen hilft die offizielle Diagnose aber auch, sich selbst besser zu akzeptieren.

Was es bringt, zu wissen, dass du autistisch bist:

  • Du kannst dich selbst besser verstehen, wenn du Autismus besser verstehst.
  • Du kannst deine Erfahrungen als Kind und als Jugendliche*r besser verstehen.
  • Möglicherweise können deine Familie, deine Freund*innen und Arbeitskolleg*innen dich besser verstehen (wenn du dich entscheidest, ihnen zu erzählen, dass du autistisch bist).
  • Du kannst andere autistische Menschen kennenlernen. Das kann guttun, Selbstvertrauen geben und mit ein bisschen Glück findest du in der Gruppe ein paar nette Menschen, mit denen du dich anfreundest.
  • Viele autistische Menschen stellen fest, dass es ihnen hilft, ihre Stärken und die Herausforderungen, die mit Autismus verbunden sind, besser zu verstehen. Sie können dann ihre Stärken besser nutzen und Strategien entwickeln, um mit den Dingen umzugehen, die ihnen Schwierigkeiten bereiten.

Autistische Züge im medizinischen Sprachgebrauch

Autistische Züge sind keine Diagnose im ICD-11, dem offiziellen Diagnosehandbuch. Damit sagt man lediglich aus, dass die Person einige Merkmale oder Verhaltensweisen hat, die man bei Menschen im Autismus-Spektrum häufig findet.

Ärzte sprechen von autistischen Zügen, wenn eine Person einige Merkmale von Autismus aufweist, andere aber nicht. Manchmal sind auch alle Diagnosekriterien erfüllt, aber sie stellen keine wesentliche Beeinträchtigung im Leben dar – es fehlt dann an klinischer Relevanz.

Damit die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung (ASD) gestellt wird, müssen eine bestimmte Anzahl von Kriterien erfüllt werden, und die Symptome müssen Beeinträchtigungen in wesentlichen Lebensbereichen darstellen.

Hier findest du die Diagnosekriterien im ICD-11 und im DSM-5 (mit Beispielen).

Autistische Züge: Frage und Antworten

Was sind »leichte autistische Züge«?

Autistische Züge sind keine offizielle Diagnose. Menschen mit autistischen Zügen weisen Merkmale des Autismus-Spektrums auf, aber nicht immer genug, um die Diagnosekriterien zu erfüllen.

Ein häufiger Grund, warum keine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum gestellt wird, ist, dass die Besonderheiten der Person ihr Leben nicht wesentlich beeinträchtigen.

Oder dass es von außen so aussieht.

Neue Studien deuten darauf hin, dass es für jede Person mit einer Diagnose aus dem Autismus-Spektrum noch eine weitere Person mit autistischen Zügen gibt (z.B. repetitives Verhalten oder Schwierigkeiten in der Kommunikation), die aber die Kriterien für eine Diagnose nicht erfüllt.

Wo fängt Autismus an?

Für eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum muss eine bestimmte Anzahl von Kriterien aus verschiedenen Bereichen erfüllt werden, und die Merkmale müssen die Person in einem oder mehreren Lebensbereichen beeinträchtigen.

Es ist oft schwierig zu beurteilen, ob bestimmte Schwierigkeiten noch »normal« sind oder schon ins Autismus-Spektrum fallen:

Viele Menschen haben Hobbys, mit denen sie sich relativ intensiv beschäftigen, und viele Menschen haben Schwierigkeiten, gute Freunde zu finden.

Autismus ist eine Behinderung.

Es ist nichts Falsches daran, autistisch zu sein. Ich würde nicht anders sein wollen.

Aber autistisch zu sein in einer nicht-autistischen Welt führt zu zahlreichen Schwierigkeiten und Herausforderungen.

Und da fängt Autismus an.

Wie äußert sich eine leichte Form von Autismus?

Von leichtem Autismus spricht man, wenn Menschen mit normaler Intelligenz und normaler Sprachentwicklung Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation haben, und sich intensiv mit einem (manchmal sehr speziellen) Interessengebiet beschäftigen oder Unterschiede in der Wahrnehmungsverarbeitung haben.

Umgangssprachlich spricht man auch vom Asperger-Syndrom, das inzwischen Teil der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung ist.

Viele dieser Menschen haben keine Diagnose.

Sie wirken auf andere ein bisschen merkwürdig, ein bisschen unbeholfen in Bezug auf den Umgang mit anderen Menschen, vielleicht steif und langweilig, vielleicht auch einfach nur schüchtern.

Allerdings empfinden diese Menschen ihren Autismus nicht unbedingt als leicht, weil das Leben für sie schwer sein kann.

Wie verhalten sich Menschen mit autistischen Zügen?

Menschen mit autistischen Zügen haben oft folgende Verhaltensweisen und Eigenschaften:

  • Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen
  • Schwierigkeiten, ungeschriebene Regeln zu verstehen
  • Schwierigkeiten mit nonverbaler Kommunikation
  • intensive Interessen
  • Schwierigkeiten mit Veränderungen
  • brauchen regelmäßig Zeit allein
  • nehmen Dinge wörtlich
  • reden zu viel oder zu wenig
  • reden zu laut oder zu leise
  • monotoner Tonfall, flache Satzmelodie
  • Schwierigkeiten, Gefühle auszudrücken
  • andere Wahrnehmungsverarbeitung

Kann man unbemerkt Autist sein?

Viele Menschen im Autismus-Spektrum haben keine Diagnose. Weder Umfeld noch sie selbst wissen oder vermuten, dass sie autistisch sind.

Früher wurde nur ein Teil des Autismus-Spektrums diagnostisch erfasst. Inzwischen wurden die Diagnosekriterien erweitert, aber leichte Formen von Autismus sind noch relativ unbekannt.

Können autistische Züge verschwinden?

Autismus selbst verschwindet nicht – er ist angeboren und besteht ein Leben lang. Mit autistischen Zügen beschreiben Mediziner üblicherweise Verhaltensweisen, die wie Autismus aussehen, aber auch ganz andere Ursachen haben können. Je nach Ursache können bestimmte Züge möglicherweise wieder verschwinden.

Zum Beispiel können Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und soziale Zurückgezogenheit auch durch eine Angststörung oder Depression bedingt sein. Angststörungen und Depressionen sind behandelbar. Wenn sie die (alleinige) Ursache der sogenannten autistischen Züge sind, werden diese wieder verschwinden.

Auch wenn ein Mensch autistisch ist, können einzelne autistische Züge im Laufe der Zeit verschwinden oder sich verändern.

Viele autistische Menschen lernen im Laufe der Zeit, ihren Autismus zu »tarnen« und ahmen nicht-autistisches Verhalten nach.

Es gibt allerdings Studien dazu, dass diese Strategie zu psychischen Problemen führen kann.

Du solltest also nie von einer autistischen Person verlangen, sich weniger autistisch zu verhalten.

Und wenn du selbst autistisch bist, solltest du darauf achten, nicht zu viel zu »maskieren« und genug Zeit und Raum im Leben zu haben, um dich zu entspannen und du selbst zu sein.

Gibt es eine Behandlung oder Therapien für autistische Züge?

Nicht alle »autistischen Züge« sind behandlungsbedürftig.

Wenn du aber findest, dass dir einige deiner Eigenschaften und Verhaltensweisen Probleme machen, kannst du dir Hilfe suchen.

Wichtig: Vor jeglicher Behandlung steht die Diagnose. Man muss also erst einmal feststellen, ob die autistischen Züge tatsächlich Autismus sind, oder ob es andere Ursachen gibt, zum Beispiel eine psychische Krankheit oder die Erziehung/Lebensgeschichte.

Das spielt eine wesentliche Rolle für die Behandlung.

Wenn du autistisch bist, können Therapien helfen, die eigentlich eher eine Art Bildung sind: Du kannst lernen, wie du mit bestimmten sozialen Situationen umgehen kannst, wenn der Kontakt mit anderen Menschen dir Probleme macht.

Ein guter Therapeut kann dir helfen, Strategien zu finden, die für dich funktionieren (statt sich an dem zu orientieren, was eine nicht-autistische Person in dieser Situation tun würde).

Wichtig ist, dass du definierst, was dein Ziel ist. Dann kannst du entscheiden, ob eine Therapie ein sinnvoller Weg sein könnte, dieses Ziel zu erreichen.

Denke auch (möglicherweise ergänzend) über andere Formen von Hilfe nach, zum Beispiel Selbsthilfegruppen. Der Kontakt mit anderen autistischen Menschen und der Austausch von Erfahrungen kann helfen.

Wenn deine »autistischen Züge« aber durch eine schwere Angststörung bedingt sind, können Medikamente unter Umständen helfen.

Es gibt keine Medikamente gegen Autismus.

Es gibt keine Medikamente dagegen, du selbst zu sein.

»Du selbst zu sein« bedeutet aber nicht, dass du für immer genau so bleiben musst, wie du gerade bist.

Wir alle entwickeln uns weiter, und wenn du denkst, dass etwas dir bei deiner persönlichen Entwicklung helfen kann, dann nutze es, wenn du kannst.

Autistische Züge: Online-Test

Wenn du wissen möchtest, ob du autistisch bist, mach doch einmal den Online-Test auf Autismus.

Das Ergebnis kann dir zumindest sagen, ob es wahrscheinlich ist, dass du autistisch bist, oder eher nicht.

Quellen und Studien

Zuletzt bearbeitet am 29.04.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus