Das Treffen auf Augenhöhe
Im Februar bekam mein Mann seine Asperger-Diagnose. Es war für mich keine Überraschung. Unsere gemeinsame Tochter hat auch das Asperger Syndrom und wurde schon vor Jahren diagnostiziert. Mein Fehler war nur, dass ich dachte, dass mit seiner Diagnose alles besser werden würde.
Aber durch die Diagnose – das »Schwarz-auf-Weiß-haben« – wurde gar nichts besser, ganz im Gegenteil. Mein Mann veränderte sich so sehr, dass ich ihn kaum noch wieder erkannte. Immer mehr Stimmen von Außenstehenden wurden laut, dass ich ihn verlassen sollte. Aber das wollte ich nicht, es war für mich keine Lösung.
Ich wusste, irgendwas hat diese Veränderung bewirkt. Dieses »irgendwas« musste ich nur finden. Und so begab ich mich auf die Suche und analysierte was das Zeug hielt. Das ist gar nicht so einfach, wenn man selbst gefühlsmäßig ständig von »Feuer« zu »Eis« wechselt, also dadurch nicht genügend emotionalen Abstand hat.
Ich bemühte Therapeuten, Seelsorger, andere Autisten und musste feststellen, dass immer irgendwas fehlte. Entweder verstanden diese Leute die Sichtweise meines Mannes oder meine aber NIE uns beide.
Als ich dann an einem Punkt war, wo die Verzweiflung übermäßig war, hatte ich einen Termin zu einer Weiterbildung. Auf dieser Weiterbildung war auch ein »Kommunikations-Coach«. Eigentlich war Autismus überhaupt kein Thema in dieser Weiterbildung. Aber auf einmal ging mir dort ein Licht auf, weil ich begriff, was die ganze Zeit schief gelaufen war.
Vor der Diagnose hatte ich immer wieder meinem Mann Dinge abgenommen, die im schwer fielen. Natürlich um ihn zu unterstützen. Irgendwann wurde das automatisch so, wir sprachen nicht mehr darüber. Durch die Diagnose wurde ihm genau dieses Verhalten aber bewusst. Er fühlte sich von mir bevormundet und in eine »Kind-Rolle« gedrängt. Nun ist er ja ein erwachsener Mann und war damit natürlich nicht glücklich.
Als erstes reagierte er wie ein Kind auf diese Erkenntnis – mit Trotz, Bockigkeit etc. Dann aber schlug das Verhalten um, und er behandelte MICH wie ein Kind. Damit war ich dann natürlich nicht einverstanden – und reagierte ebenso kindisch wie er vorher. Das wurde sozusagen zu einer Endlos-Spirale in der keiner von uns glücklich war.
Durch die Weiterbildung wurde mir auf einmal klar, dass das Problem diese Spirale war, in der wir gefangen waren. Wir mussten diese »Eltern-Kind-Verteilung« aufgeben. Kaum war ich zu Hause, sprach ich mit ihm über das Thema und erklärte ihm anhand des Schaubilds aus der Veranstaltung das Problem. Es dauerte nur ein oder zwei Tage, da war er wieder so wie früher. Und ich konnte auch wieder so wie früher sein. Dabei spielt eigentlich keine Rolle, wer es zuerst begriffen hat oder sich zuerst geändert hat (ich glaube aber er war es, womit er MIR sehr geholfen hat).
Seitdem treffen wir uns wieder auf Augenhöhe. Ja, er hat das Asperger Syndrom, aber es ist nur eine andere Art des Seins. Und WEIL er so ist wie er ist, habe ich ihn ja geheiratet. MIT Asperger Syndrom. Und das ist gut so!
Zuletzt bearbeitet am 13.07.2019.