Der Druck auf Eltern
Obwohl ich unnachsichtig ins Gericht gehe mit jenen, die Eltern falsche Hoffnungen machen, die von den Ängsten der Eltern autistischer Kinder leben, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass diese Ängste real sind. Sie mögen nicht gerechtfertigt sein. Sie mögen von den Medien und skrupellosen Forscher*innen und Mediziner*innen angetrieben werden. Aber nichtsdestotrotz sind sie real und Eltern brauchen Hilfe, um damit umzugehen.
Ich biete diesen Auszug aus einem Buch, das ich vor sechs Jahren als einen Weg zur Analyse elterlicher Reaktionen geschrieben habe, während ich mich von meinem eigenen seelischen Zusammenbruch erholt habe. Ich begrüße jegliche besseren Ideen.
A. Elterliche Reaktionen – Die Besorgten
Die Besorgten kommen nicht über ihr Schuldgefühl hinweg. Sie wollen wissen, warum ihr Kind autistisch ist. War es ihr Fehler? Gibt es eine Heilung oder Therapie, die ihrem Kind helfen kann und die sie nicht versuchen? Jedes Mal, wenn die Medien einen neuen »Durchbruch« in der Behandlung von Autismus hinaustrompeten, verstärkt sich der Druck.
Sie stoßen auf die Fülle anekdotischer Anhaltspunkte, dass bestimmte Ernährungsformen, Vitamine und verschiedene Medikamente einigen Kindern in einigen Aspekten ihres Zustands helfen können. Natürlich hören Freund*innen und Verwandte immer von Wunderheilungen und Interventionen. Sie sind üblicherweise sehr teuer und nur auf der anderen Seite des Globus erhältlich.
Also, warum verpfändest Du nicht das Geld für die Ausbildung deiner anderen Kinder und deine Pension, um dein Kind zu heilen? Liebst du es nicht genug? Oder ist es vielleicht gar nicht so autistisch? Grrrr!
Wenn man Elternteil eines Kindes mit ernsten Ess- oder Schlafstörungen, zerstörerischen oder selbstverletzenden Verhaltensweisen, Wutausbrüchen oder anhaltender depressiver Episoden ist und man bekommt wenig oder keine professionelle Unterstützung oder Ratschläge, die für das eigene Kind funktionieren, dann wird man alles versuchen. Ohne ernsthafte Erforschung der lohnenden Interventionen müssen diese Seite an Seite mit den gerissenen Kerlen und Hausierern, die ihre Schlangenöl-Heilmittel anpreisen, nach Glaubwürdigkeit streben.
Die National Autistic Society hat eine Broschüre veröffentlicht, die über vierzig verschiedene Herangehensweisen beschreibt; einige sind ernährungsbezogen, medizinisch oder bildungsbezogen und einige sind einfach nur merkwürdig. Die meisten haben Aufmerksamkeit verdient (NAS 1997). Aber es gibt sehr wenige Menschen »vor Ort«, an die Eltern sich wegen einer Anleitung wenden können. In Großbritannien werden Eltern, die sich wegen »alternativer« Therapien an ihre örtlichen Gesundheitsdienste wenden, oft als schrullig betrachtet. In den USA sind diese Behandlungen weitreichender verfügbar, wenn deine Krankenversicherung sie zahlt.
Besorgte Eltern stehen also der Aussicht gegenüber, unfreundlichen medizinischen Institutionen entgegenzutreten oder mit dem Schuldgefühl zu leben, dass sie nicht genug für ihr Kind tun. Ein solches Dilemma kann zu Passivität, Groll und Bitterkeit führen, die sich gegen selbstsichere Eltern richten, die die natürlichen Verbündeten sein sollten und vergrößert damit die eigene Isolation.
B. Elterliche Reaktionen – die Kriegerischen
Die Kriegerischen stellen die andere Seite der Münze dar. Sie haben vor, das Beste, was es gibt, für ihr autistisches Kind zu bekommen. Sie haben ihre Rechte und wenn etwas nicht gemacht wird, wird jemand dafür bezahlen. Es ist nichts Schlechtes daran, das Beste für Dein Kind zu wollen, solange man sich nicht in etwas verrent. Meine eigene Laufbahn vom Besorgten zum Kriegerischen wurde angetrieben von dem Schuldgefühl, nicht selbstsicher genug zu sein und ich habe das dann überkompensiert, indem ich eine völlig gegnerische Position einnahm. Im Nachhinein scheint es mir manchmal, dass ich weniger darum besorgt war, was für meinen Sohn richtig war als dass es mir um den Wunsch ging, den gesichtslosen Bürokraten zu fassen zu bekommen, dem ich für unser Unglück die Schuld zuschob.
C. Zusammenbruch und Konflikte
Es ist leicht zu ersehen, wie das passieren kann. Die Eltern bemerken etwas an ihrem Kind. Ihre Ängste werden abgetan. Sie lesen einen Artikel über Autismus und erkennen ihr Kind in dem Artikel. Sie erforschen das Thema. Sie plagen Behörden und Fachleute. Sie werden zum Problem, mit dem umgegangen werden muss, während die Bedürfnisse des Kindes ignoriert werden…
D. Partnerschaftliche Zusammenarbeit
Sowohl Kriegerische als auch Besorgte können ihrem Kind gegenüber überbeschützend werden. Aus diesem Grund lernen die Kinder vielleicht, sich selbst über ihre Diagnose zu definieren. Ein Beispiel mag das Kind mit einer Lernbehinderung sein, das einen angemessenen Grad an Unabhängigkeit im Erwachsenenalter erreichen könnte. Aber wenn man ihnen eine Krankenrolle zu spielen gibt, lernen sie vielleicht, sie bis zur Perfektion zu spielen und werden immer von anderen abhängig sein in Dingen, die sie selbst können sollten.
Es ist einfach zu sehen, wie das passieren kann. Den Eltern wird gesagt, dass ihr Kind ein Problem hat, aber sie erhalten sehr wenig Unterstützung darin, mit diesen Neuigkeiten zurechtzukommen. Für einige wird ihr Kind zum ewigen Baby, das sie für immer und ewig lieben und umsorgen werden. Solche Eltern sind sehr liebevoll, können aber die Fortschritte ihres Kindes behindern, indem sie alles für das Kind tun und es völlig verziehen.
Diese Kinder haben reale Schwierigkeiten und Eltern, die ihr Bestes wollen. Die Eltern brauchen nur etwas Anleitung und Rückversicherung. Keine Fachkraft darf alleine in einem Raum mit Kindern sein, bevor sie nicht ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Von den Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen wird erwartet, dass sie alleine ohne eine Ausbildung zurechtkommen. Als wichtigste Betreuungspersonen sollten wir in unserer Bedeutung im Budget für Ausbildung am Arbeitsplatz einer jeden Stelle, die sich mit Autismus beschäftigt, herausgestellt sein. Denn wenn wir nicht zurechtkommen, müsst ihr jemand anderes ausbilden, um uns zu ersetzen und sie ebenfalls zahlen.
Oft sind Aspekte von Kriegerischen und Besorgten in der selben Person zur selben Zeit vorhanden. Wir sind daran gewöhnt, mit einander widersprechenden Vorstellungen zu leben. Erst wenn die Widersprüche zu akut werden, kommt es zum Zusammenbruch; und viele Eltern erleben Zusammenbrüche.
Also müssen sich diejenigen, die mit Eltern umgehen, bewusst werden, dass wir auch besondere Bedürfnisse haben. Sachbearbeiter*innen im Bereich Gesundheits und Bildung sollten einen Umgang wie mit einem Kranken entwickeln und freundlich und unterstützend sein. Was wir vor allem brauchen, ist Ehrlichkeit. Wenn die Mittel nicht vorhanden sind, weil die Regierung das Budget gekürzt hat und die Behörde sich das, was für meinen Sohn am besten ist, nicht leisten kann, dann sagt mir das! Tut nicht so, als ob ihr seinen Bedürfnisse mit den bestehende Mitteln gerecht werden könntet, wenn es offensichtlich ist, dass ihr es nicht könnt.
Eltern wollen eine Partnerschaft mit fachlichen Stellen, um unseren Kindern zu helfen. Wenn das System aufgerüttelt werden muss, können wir das Rütteln übernehmen. Wir sind nicht an eine fachliche Etikette gebunden. Wir können die Öffentlichkeit auf eine Art zu gewinnen suchen, die für öffentliche Dienstleister und staatliche Angestellte unangemessen sein mag. Sowohl die Besorgten als auch die Kriegerischen können positiv sein, wenn wir uns über die Dinge Sorgen machen, auf die es ankommt und gegen die richtigen Ziele in den Krieg ziehen. Wir können eure Verbündeten von ganz unten sein, die die Mächtigen demütigen.
Deshalb appelliere ich an alle, die sich mit Kindern mit Autismus befassen:
Zieht die Eltern ins Vertrauen, so wie wir Euch ins Vertrauen ziehen, indem wir Euch mit der Zukunft unserer Kinder betrauen. Behandelt uns nicht gönnerhaft, tut uns nicht ab und versucht nicht, uns abzuwimmeln. Wir mögen nicht immer wissen, was für unsere Kinder das Beste ist. Aber, und da könnt ihr euch sicher sein, wir wollen immer das, was das Beste für sie ist.
Zuletzt bearbeitet am 29.01.2022.
Mike Stanton ist Förderschullehrer und Vater eines autistischen Sohnes. Er ist Autor des Buchs Learning to Live with High Functioning Autism.