Wir sind autistisch und das ist gut so.

Der 21. März ist der Welt-Down-Syndrom-Tag. Für uns ein Anlass, ein paar Worte zu pränatalen Tests und ihren Folgen zu verlieren.
Das Down-Syndrom kann durch pränatale Tests vor der Geburt festgestellt werden – und wird es auch. Fast immer ist ein Schwangerschaftsabbruch die Folge.
Glückliche Schwangere gehen zur Standard-Vorsorgeuntersuchung, zum »Babyfernsehen«, wie es die Eltern oft nennen. Soll man vielleicht eine Nackenfaltenmessung machen, »nur um zu sehen, ob mit dem Baby alles in Ordnung ist«. Natürlich wollen die Eltern wissen, ob alles in Ordnung ist. Wenn man sich gegen diesen Test entscheidet, muss man sich bei manchen (vielen ?) Ärzt_innen geradezu rechtfertigen. Unverständnis schlägt einem entgegen, »verantwortungslos« steht im Raum.
In diesem Klima entscheiden sich viele Schwangere für eine Abtreibung, sollte beim Embryo eine Trisomie festgestellt werden. Ein behindertes Kind scheint nicht in unsere leistungsorientierte Gesellschaft zu passen. Nach ein paar Monaten, spätestens einem Jahr, wollen beide Elternteile wieder berufstätig sein. Wie soll das gehen mit einem behinderten Kind? Die Angst ist groß, und die Angst entscheidet.
Dabei weiß eigentlich kaum einer so richtig, wie das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom ist. Ganz ehrlich, wer kennt denn eine Person mit Down-Syndrom mehr als nur von Sehen? Die allerwenigsten. In England bringt ein Projekt die künftigen (Vielleicht-)Eltern nach der pränatalen Diagnose Trisomie 21 mit Menschen mit Down-Syndrom zusammen. Danach entscheiden sich viele für das Kind.
Auch die Lebenshilfe spricht sich gegen den ›Abtreibungsmechanismus‹ aus. Sie fordert umfassende Beratung für die werdenden Eltern.
Das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom kann schön sein. Und das Leben ohne muss nicht unbedingt leichter sein.

Spätabtreibung

Normalerweise darf man nur in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft abtreiben. Wenn ein Embryo jedoch als »behindert« kategorisiert wird, ist eine Abtreibung zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft legal, auch dann, wenn das Ungeborene schon lebensfähig ist. Das führte zum Beispiel dazu, dass im Sommer 1997 das Kind Tim seine eigene Abtreibung überlebte. Wie diese gesetzliche Regelung mit Artikel 3 des Grundgesetzes Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. zu vereinbaren ist, bleibt uns schleierhaft.
Menschen mit Down-Syndrom wenden sich gegen pränatale Diagnostik und selektive Abtreibungen. Im Juni 2003 störte eine Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom den International Downs Syndrome Screening Kongress in London, auf dem über pränatale Selektion bezüglich Down-Syndrom gesprochen wurde. Die Organisator_innen des Kongresses riefen die Polizei, erlaubten aber vorher Anya Souza, einer Frau mit Down-Syndrom, für etwa zehn Minuten zu sprechen.
Souza kritisierte die pränatale Down-Diagnostik und Forderungen nach Sterilisation und sagte:

Ich kann mein Down nicht loswerden. Aber ihr könnt mein Glück nicht loswerden und das Glück, das ich anderen schenke, auch nicht.

Welt-Down-Syndrom-Tag
Viele Menschen im Autismus-Spektrum sehen die Suche nach »Autismus-Genen« viel zu unkritisch oder befürworten diese z.B. für sogenannte »Schwerbetroffene« – darunter Temple Grandin. Niemand betreibt diese Suche aus bloßem akademischen Interesse. Ziel dieser Forschung ist ein pränataler Autismus-Test, und wohin der führt, kann man am Beispiel Down-Syndrom sehen: etwa 90 bis 95% der Schwangeren entscheiden sich dafür, das Down-Kind abzutreiben.
Autist_innen sollten nicht an ihrer eigenen Ausrottung mitarbeiten, zum Beispiel als Lieferant_innen von »autistischem Genmaterial«. Boykottiert solche Forschungen!

Zuletzt bearbeitet am 21.09.2022.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus