Wir sind autistisch und das ist gut so.

Das ICD-11 legt die Diagnosekriterien für die »Autismus-Spektrum-Störung« (ASS) fest: Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten, sowie eingeschränkte, sich wiederholende und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten.

Auf dieser Seite findest du die kompletten ICD-Diagnosekriterien für Autismus – und zwar sowohl für das neue ICD-11 als auch für das alte ICD-10.

Außerdem gehe ich darauf ein, wie die Klassifikation und Beschreibung von Autismus sich in der neuen Ausgabe ICD-11 verändert hat gegenüber dem alten ICD-10.

Unter anderen gibt es keine gesonderte Diagnose »Asperger-Syndrom« mehr, diese ist jetzt Teil der »Autismus-Spektrum-Störung«.

Autismus im ICD

ICD bedeutet »International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems«, auf Deutsch: »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme«.

Es wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegeben und ist die wichtigste Grundlage, um medizinische Diagnosen zu stellen. In Deutschland sind Kassenärzt*innen verpflichtet, ihre Diagnosen entsprechend der ICD-Klassifikationen zu stellen.

Das ICD wird in regelmäßigen Abständen überarbeitet, um den aktuellen Forschungsstand widerzuspiegeln. 2021 erschien die neue Ausgabe ICD-11, und in Bezug auf Autismus hat sich einiges verändert.

Das ICD-10 listete mehrere Formen von Autismus auf:

Im neuen ICD-11 werden diese Diagnosen als »Autismus-Spektrum-Störung« (»autism spectrum disorder«) zusammengefasst. Das gesamte Spektrum in seiner Breite wird mit einer Diagnose abgedeckt.

Diese Änderung wurde bereits lange erwartet. Sie findet sich auch im DSM-5, dem diagnostischen Handbuch der American Psychiatric Association.

(Auch über die Autismus-Diagnosekriterien im DSM-5 habe ich einen Artikel geschrieben: Autismus-Spektrum-Störung: Diagnosekriterien im DSM-5. Neben den Diagnosekriterien selbst findest du dort auch Beispiele für jedes Kriterium.)

Diagnose Autismus-Spektrum-Störung nach ICD-11 und ICD-11: Flussdiagramm

Autismus-Spektrum-Störung (ASS) im ICD-11

Beschreibung

Das ICD-11 klassifiziert die Autismus-Spektrum-Störung als »neurologische Entwicklungsstörung« und beschreibt sie folgendermaßen:

Die Autismus-Spektrum-Störung ist gekennzeichnet durch anhaltende Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten, sowie durch eine Reihe von eingeschränkten, sich wiederholenden und unflexiblen Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder exzessiv sind.

Der Beginn der Störung liegt in der Entwicklungsphase, typischerweise in der frühen Kindheit, aber die Symptome können sich auch erst später vollständig manifestieren, wenn die sozialen Anforderungen die begrenzten Fähigkeiten übersteigen.

Die Defizite sind so schwerwiegend, dass sie zu Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen, und sie sind in der Regel ein durchgängiges Merkmal der Funktionsweise der Person, das in allen Bereichen zu beobachten ist, obwohl sie je nach sozialem, erzieherischem oder anderem Kontext variieren können. Personen, die dem Spektrum angehören, weisen ein breites Spektrum an intellektuellen Funktionen und Sprachfähigkeiten auf.

Ausschlussdiagnose: Rett-Syndrom

Als Ausschlussdiagnose wird das Rett-Syndrom genannt.

Das Rett-Syndrom ist eine andere Diagnose aus den neurologischen Entwicklungsstörungen, und die Verhaltensweisen von Menschen mit Rett-Syndrom können denen einiger autistischer Menschen ähneln. Das Rett-Syndrom ist aber durch genetische Tests eindeutig diagnostizierbar.

Diagnosekriterien der Autismus-Spektrum-Störung

Das ICD-11 listet folgende Diagnosekriterien:

  • Anhaltende Defizite bei der Anbahnung und Aufrechterhaltung sozialer Kommunikation und reziproker sozialer Interaktionen, die außerhalb des für das Alter und den intellektuellen Entwicklungsstand der Person typischen Funktionsbereichs liegen. Die spezifischen Ausprägungen dieser Defizite variieren je nach chronologischem Alter, verbalen und intellektuellen Fähigkeiten und dem Schweregrad der Störung. Zu den Manifestationen können Einschränkungen in den folgenden Bereichen gehören:
    • Verständnis von, Interesse an oder unangemessene Reaktionen auf verbale oder nonverbale soziale Kommunikation anderer.
    • Integration der gesprochenen Sprache mit typischen ergänzenden nonverbalen Hinweisen, wie Augenkontakt, Gestik, Mimik und Körpersprache. Diese nonverbalen Verhaltensweisen können auch in ihrer Häufigkeit oder Intensität reduziert sein.
    • Verständnis und Verwendung von Sprache in sozialen Kontexten und die Fähigkeit, wechselseitige soziale Gespräche zu initiieren und aufrechtzuerhalten.
    • Soziales Bewusstsein, das zu einem Verhalten führt, das nicht angemessen an den sozialen Kontext angepasst ist.
    • Fähigkeit, sich die Gefühle, emotionalen Zustände und Haltungen anderer vorzustellen und darauf zu reagieren.
    • Gegenseitiges Teilen von Interessen.
    • Fähigkeit, typische Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
  • Anhaltend eingeschränkte, sich wiederholende und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder übertrieben sind. Dazu können gehören:
    • Mangelnde Anpassungsfähigkeit an neue Erfahrungen und Umstände und damit verbundener Leidensdruck, der durch triviale Veränderungen in der vertrauten Umgebung oder als Reaktion auf unerwartete Ereignisse hervorgerufen werden kann.
    • Unflexibles Festhalten an bestimmten Routinen; diese können z. B. geografisch bedingt sein, wie das Befolgen vertrauter Wege, oder sie können ein genaues Timing erfordern, wie z. B. Essenszeiten oder Transport.
    • Übermäßiges Festhalten an Regeln (z. B. beim Spielen).
    • Übermäßige und anhaltende ritualisierte Verhaltensmuster (z. B. die Beschäftigung mit dem Aufreihen oder Sortieren von Gegenständen auf eine bestimmte Weise), die keinem offensichtlichen äußeren Zweck dienen.
    • Sich wiederholende und stereotype motorische Bewegungen, wie Ganzkörperbewegungen (z. B. Schaukeln), atypischer Gang (z. B. auf Zehenspitzen gehen), ungewöhnliche Hand- oder Fingerbewegungen und Körperhaltung. Diese Verhaltensweisen treten besonders häufig in der frühen Kindheit auf.
    • Anhaltende Beschäftigung mit einem oder mehreren speziellen Interessen, Teilen von Gegenständen oder bestimmten Arten von Reizen (einschließlich Medien) oder eine ungewöhnlich starke Bindung an bestimmte Gegenstände (mit Ausnahme typischer Tröster).
    • Lebenslange exzessive und anhaltende Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen oder ungewöhnliches Interesse an einem sensorischen Reiz, zu dem tatsächliche oder erwartete Geräusche, Licht, Texturen (insbesondere Kleidung und Nahrungsmittel), Gerüche und Geschmäcker, Hitze, Kälte oder Schmerzen gehören können.
  • Der Beginn der Störung liegt in der Entwicklungsphase, typischerweise in der frühen Kindheit, aber die charakteristischen Symptome treten möglicherweise erst später in vollem Umfang auf, wenn die sozialen Anforderungen die begrenzten Fähigkeiten übersteigen.
  • Die Symptome führen zu erheblichen Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Manche Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung sind in der Lage, durch außergewöhnliche Anstrengungen in vielen Bereichen angemessen zu funktionieren, so dass ihre Defizite für andere möglicherweise nicht erkennbar sind. Die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung ist auch in solchen Fällen angemessen.

Wie wird die Diagnose »Autismus-Spektrum-Störung« den Unterschieden zwischen autistischen Menschen gerecht?

Eine Sorge bei der Umstellung der Autismus-Diagnose auf ein Spektrumsmodell war, dass wesentliche Unterschiede zwischen autistischen Menschen nicht genug Beachtung finden würden.

Das ICD-11 findet einen Weg, damit umzugehen, indem zwei wesentliche Aspekte spezifiziert werden, wenn die Diagnose gestellt wird: Intelligenz und Sprache.

Das ICD-11 sieht Kennzeichner vor, um die Unterschiede in Intelligenz und Sprachentwicklung zu beschreiben. Das funktioniert so:

Wenn die Intelligenz der diagnostizierten Person im normalen (oder hohen) Bereich liegt, soll als Kennzeichner verwendet werden:

  • ohne Störung der intellektuellen Entwicklung

Wenn zusätzlich zu Autismus eine Intelligenzminderung vorliegt, soll als Kennzeichner verwendet werden:

  • mit Störung der intellektuellen Entwicklung

Das ICD legt dazu fest, dass

  • dabei die entsprechende Kategorie zur Bezeichnung des Schweregrads zu verwenden ist (d.h. leicht, mittelschwer, schwer, ausgeprägt, vorläufig), und dass
  • bei der Einschätzung mehr Gewicht auf die intellektuellen, konzeptionellen und praktischen Bereiche der Anpassungsfähigkeit gelegt werden als auf die sozialen Fähigkeiten. Denn Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion sind ein zentrales Merkmal von Autismus.

Ähnlich wird in Bezug auf die Sprache verfahren.

Dabei sind mehrere Dinge wichtig:

  • Der Grad der Sprachbeeinträchtigung muss im Verhältnis zum Alter der Person gesehen werden. Es ist klar, dass sich die Sprache eines vierjährigen Kindes wesentlich von der eines vierzigjährigen Erwachsenen unterscheidet. Ein vierjähriges Kind muss darum mit anderen vierjährigen Kindern verglichen werden.
  • Entscheidend ist nicht, wie viele Wörter jemand spricht, sondern wie sehr die Person in der Lage ist, Sprache funktional zu verwenden. Manche autistischen Menschen verwenden Echolalie (das Wiederholen gehörter Wörter und Sätze). Echolalie hat oft eine kommunikative Absicht, ist aber zur Kommunikation deutlich ineffizienter als das Bilden eigener Sätze.
  • Der Kennzeichner soll in erster Linie die verbalen und nonverbalen expressiven Sprachdefizite widerspiegeln, die bei einigen Personen mit Autismus-Spektrum-Störung auftreten. Es geht dabei nicht um die pragmatischen Sprachschwierigkeiten, die ein Kernmerkmal des ganzen Autismus-Spektrums sind.

Die Kennzeichner in Bezug auf (gesprochene oder gebärdete) Sprache lauten:

  • mit leichter oder keiner Beeinträchtigung der funktionalen Sprache
  • mit eingeschränkter funktioneller Sprache (d. h. nicht in der Lage, mehr als einzelne Wörter oder einfache Sätze zu verwenden)
  • mit vollständiger oder fast vollständiger Abwesenheit von funktionaler Sprache

Eine Diagnose könnte also zum Beispiel lauten »Autismus-Spektrum-Störung mit leichter Störung der intellektuellen Entwicklung und mit eingeschränkter funktioneller Sprache«.

Asperger-Syndrom: ICD-10 vs. ICD-11

Das ICD-10 enthielt die Diagnose Asperger-Autismus, im ICD-11 ist diese nicht mehr zu finden. Sie ist jedoch nicht verschwunden – die Diagnosekriterien für Asperger-Autismus sind jetzt Teil des Autismus-Spektrums.

Bisherige Asperger-Diagnosen behalten ihre Gültigkeit. Nur die ICD-Codierung ist anders:

ICD-10F84.5 Asperger-Autismus
ICD-116A02.0 Autism spectrum disorder without disorder of intellectual development and with mild or no impairment of functional language

Im Alltag darf man weiterhin von Asperger-Autismus oder Asperger-Syndrom sprechen, oder sich als Aspie bezeichnen, wenn man das möchte.

Die ICD-Codierung ist relevant bei der Diagnose und dort, wo du die offizielle Diagnose angeben musst, zum Beispiel bestimmte Formen der Unterstützung oder des Nachteilsausgleichs.

Dort gibst du einfach die Diagnose so an, wie sie in deinen Unterlagen steht. Du kannst anmerken, dass sie nach ICD-10 gestellt wurde, aber im Allgemeinen ist das nicht notwendig.

Mein Fazit zu Autismus im ICD-11

  • Ich finde es sehr begrüßenswert, dass nun auch im ICD das Konzept des Autismus-Spektrums zu finden ist, an Stelle verschiedener Formen von Autismus. Das entspricht dem Stand der Wissenschaft. Die Bezeichnung »Asperger-Syndrom« hatte ihre Gründe. Sie war aber auch irreführend – vielen Menschen ist bis heute nicht klar, dass das Asperger-Syndrom Teil des Autismus-Spektrums ist.
  • Als Bezeichnung hätte ich einfach »Autismus« oder auch »Autismus-Spektrum« deutlich bevorzugt. Störung fügt inhaltlich nicht viel dazu, sondern sagt nur, dass nicht-autistische Menschen uns störend finden.
  • Einige Kriterien, die sich speziell auf Kinder bezogen, wurden verändert (»funktionales oder symbolisches Spielen«). Das ist gut, denn die Autismus-Diagnose wird nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen gestellt. Und nicht alle Erwachsenen haben Eltern, die über ihre Kindheit berichten können.
  • Auch sensorische Besonderheiten haben endlich ihren Weg in die ICD-Diagnosekriterien gefunden. Das ist schön, weil sie so ein wesentlicher Teil der Lebenserfahrung autistischer Menschen sind.
  • Sehr sinnvoll ist auch, dass in Bezug auf Sprache nicht danach unterschieden wird, wann die Person angefangen hat zu sprechen, sondern ob sie Sprache jetzt zielgerichtet verwenden kann, zum Beispiel um Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
  • Wenn ein autistischer Mensch eine kognitive Behinderung hat, kann sie mit dem entsprechenden ICD-Kürzel diagnostiziert werden.
  • Anders als das DSM-5 versucht das ICD nicht direkt, den Unterstützungsbedarf in der Diagnose festzuschreiben. Das ist sinnvoll, weil der Unterstützungsbedarf sich im Laufe des Lebens immer wieder ändern kann.
  • Gut finde ich auch, dass klargestellt wird, dass die Schwierigkeiten einer autistischen Person nach außen hin nicht immer erkennbar sind. Viele autistische Menschen haben von Ärzt*innen zu hören bekommen, sie könnten nicht autistisch sein, weil »das würde ich doch merken«.

Insgesamt finde ich die Diagnosekriterien im ICD-11 eine deutliche Verbesserung gegenüber dem früheren ICD-10. Sie sind sicherlich nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Alte Diagnosekriterien: Autismus und Asperger im ICD-10

Im ICD-10 wurde Autismus in mehrere Subtypen aufgegliedert, den Frühkindlichen Autismus, den Atypischen Autismus und das Asperger-Syndrom. Diese Diagnosen wurden den »tiefgreifenden Entwicklungsstörungen« zugeordnet. Dort werden auch noch weitere Diagnosen gelistet:

F84 Tief greifende Entwicklungsstörungen

  • F84.0 Frühkindlicher Autismus
  • F84.1 Atypischer Autismus
  • F84.2 Rett-Syndrom
  • F84.3 Andere desintegrative Störung des Kindesalters
  • F84.4 Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien
  • F84.5 Asperger-Syndrom
  • F84.8 Sonstige tief greifende Entwicklungsstörungen
  • F84.9 Tief greifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet

Du kannst die alten Diagnosekriterien hier ansehen oder vergleichen, falls es dich interessiert:

F84.0 Frühkindlicher Autismus

Vor dem dritten Lebensjahr manifestiert sich eine auffällige und beeinträchtigte Entwicklung in mindestens einem der folgenden Bereiche:

  1. rezeptive oder expressive Sprache, wie sie in der sozialen Kommunikation verwandt wird
  2. Entwicklung selektiver sozialer Zuwendung oder reziproker sozialer Interaktion
  3. funktionales oder symbolisches Spielen.

Insgesamt müssen mindestens sechs Symptome von A), B) und C) vorliegen,
davon mindestens zwei von A) und mindestens je eins von B) und C):

  1. Qualitative Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion
    in mindestens drei der folgenden Bereiche:

     

    1. Unfähigkeit, Blickkontakt, Mimik, Körperhaltung und Gestik zur Regulation sozialer Interaktionen zu verwenden
    2. Unfähigkeit, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzunehmen, mit gemeinsamen Interessen, Aktivitäten und Gefühlen (in einer für das geistige Alter angemessenen Art und Weise trotz hinreichender Möglichkeiten)
    3. Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit, die sich in einer Beeinträchtigung oder devianten Reaktion auf die Emotionen anderer äußert; oder Mangel an Verhaltensmodulation entsprechend dem sozialen Kontext; oder nur labile Integration sozialen, emotionalen und kommunikativen Verhaltens
    4. Mangel, spontan Freude, Interessen oder Tätigkeiten mit anderen zu teilen (zum Beispiel Mangel, anderen Menschen Dinge, die für die Betroffenen von Bedeutung sind, zu zeigen, zu bringen oder zu erklären).
  2. Qualitative Auffälligkeiten der Kommunikation in mindestens einem der folgenden Bereiche:
    1. Verspätung oder vollständige Störung der Entwicklung der gesprochenen Sprache, die nicht begleitet ist durch einen Kompensationsversuch durch Gestik oder Mimik als Alternative zur Kommunikation (vorausgehend oft fehlendes kommunikatives Geplapper)
    2. relative Unfähigkeit, einen sprachlichen Kontakt zu beginnen oder aufrechtzuerhalten (auf dem jeweiligen Sprachniveau), bei dem es einen gegenseitigen Kommunikationsaustausch mit anderen Personen gibt
    3. stereotype und repetitive Verwendung der Sprache oder idiosynkratischer Gebrauch von Worten oder Sätzen
    4. Mangel an verschiedenen spontanen Als-ob-Spielen oder (bei jungen Betroffenen) sozialen Imitationsspielen.
  3. Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten in mindestens einem der folgenden Bereiche:
    1. umfassende Beschäftigung mit gewöhnlich mehreren stereotypen und begrenzten Interessen, die in Inhalt und Schwerpunkt abnorm sind, es kann sich aber auch um ein oder mehrere Interessen ungewöhnlicher Intensität und Begrenztheit handeln
    2. offensichtlich zwanghafte Anhänglichkeit an spezifische, nicht funktionale Handlungen oder Rituale
    3. stereotype und repetitive motorische Manierismen mit Hand- und Fingerschlagen oder Verbiegen, oder komplexe Bewegungen des ganzen Körpers
    4. vorherrschende Beschäftigung mit Teilobjekten oder nicht funktionalen Elementen des Spielmaterials (zum Beispiel ihr Geruch, die Oberflächenbeschaffenheit oder das von ihnen hervorgebrachte Geräusch oder ihre Vibration).

Das klinische Bild kann nicht einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung zugeordnet werden, einer spezifischen Entwicklungsstörung der rezeptiven Sprache (F80.2) mit sekundären sozio-emotionalen Problemen, einer reaktiven Bindungsstörung (F94.1), einer Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2), einer Intelligenzminderung (F70-72) mit einer emotionalen oder Verhaltensstörung, einer Schizophrenie (F20) mit ungewöhnlich frühem Beginn oder einem Rett-Syndrom (F84.2).

ICD-10-GM

F84.5 Asperger-Syndrom

Es existiert keine klinisch bedeutsame allgemeine Verzögerung in der gesprochenen oder rezeptiven Sprache oder in der kognitiven Entwicklung. Die Diagnose verlangt, dass bis zum Alter von zwei Jahren oder früher einzelne Worte gesprochen werden können, und dass bis zum Alter von drei Jahren oder früher kommunikative Sätze benutzt werden. Fähigkeiten zur Selbsthilfe, anpassungsfähiges Verhalten und Wissbegierde in Bezug auf das Umfeld sollten um das dritte Lebensjahr herum auf einem mit der normalen intellektuellen Entwicklung übereinstimmenden Niveau liegen. Dennoch können motorische Meilensteine etwas verzögert sein, und die motorische Unbeholfenheit ist die Regel (obwohl kein notwendiges diagnostisches Merkmal). Es bestehen häufig einzelne spezielle Fertigkeiten, die sich meist auf abnorme Beschäftigung beziehen, aber sie sind für die Diagnose nicht relevant.

  1. Qualitative Abnormitäten in der wechselseitigen sozialen Interaktion zeigen sich in mindestens zwei der folgenden Merkmale:
    1. Unvermögen, einen angemessenen Blickkontakt herzustellen und aufrechtzuerhalten, Mängel in Mimik und Körperhaltung, Mängel in der Gestik zur Regulierung der sozialen Interaktion;
    2. Unvermögen (in einer dem geistigen Alter entsprechenden Weise oder trotz ausreichender Gelegenheiten), Beziehungen zu Gleichaltrigen zu entwickeln, die das Teilen von Interessen, Aktivitäten und Emotionen betreffen;
    3. Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit, die sich in einer unzulänglichen oder von der Norm abweichenden Reaktion auf die Emotionen anderer Menschen zeigt; oder der Mangel an Verhaltensmodulation gemäß dem sozialen Kontext; oder eine geringe Integration der sozialen, emotionalen und kommunikativen Verhaltensweisen;
    4. fehlender spontaner Wunsch, mit anderen Menschen Vergnügen, Interessen und Errungenschaften zu teilen (zum Beispiel mangelndes Interesse, anderen Menschen Gegenstände, die dem Betroffenen wichtig sind, herzubringen oder darauf hinzuweisen).
  2. Der Betroffene legt ein ungewöhnlich starkes, sehr spezielles Interesse oder begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten an den Tag, die sich in mindestens einem der folgenden Bereiche manifestieren:

     

    1. einer konzentrierten Beschäftigung mit stereotypen und begrenzten Interessensmustern, die in Inhalt oder Gebiet abnorm sind; oder eine oder mehrere Interessen, die in ihrer Intensität und ihrer speziellen Natur, aber nicht in Inhalt oder Gebiet begrenzt sind;
    2. offenkundige zwanghafte Befolgung spezifischer, nonfunktionaler Routinen oder Rituale;
    3. stereotype und repetitive motorische Manierismen, die entweder das Flattern oder Drehen mit Händen oder Fingern oder komplexe Ganzkörperbewegungen mit einschließen;
    4. Beschäftigungen mit Teil-Objekten oder nonfunktionalen Elementen oder Spielmaterialien (wie den dazugehörigen Farben, dem Gefühl, das die Oberfläche vermittelt, oder dem Geräusch/der Vibration, das sie hervorrufen). Doch kommt es seltener vor, daß diese Merkmale motorische Manierismen oder Beschäftigungen mit Teil-Objekten oder nonfunktionalen Elementen der Spielmaterialien einschließen.

Die Störung ist den anderen Varianten der tiefgreifenden Entwicklungsstörung nicht zuzuschreiben, wie: einfache Schizophrenie, schizotypische Störung, Zwangsstörung, anankastische Persönlichkeitsstörung, reaktive und enthemmte Bindungsstörungen der Kindheit.

ICD-10-GM

F84.1 Atypischer Autismus
  1. Vorliegen einer auffälligen und beeinträchtigten Entwicklung mit Beginn im oder nach dem dritten Lebensjahr (die Kriterien entsprechen denen des Autismus, abgesehen vom Manifestationsalter).
  2. Qualitative Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion oder der Kommunikation oder begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten (die Kriterien entsprechen denen für Autismus, abgesehen von der Zahl der gestörten Bereiche).
  3. Die diagnostischen Kriterien für Autismus (F84.0) werden nicht erfüllt. Der Autismus kann untypisch in Bezug auf das Erkrankungsalter (F84.10) oder in der Symptomatologie (F84.11) sein. Diese beiden Typen können für Forschungszwecke mit einer fünften Stelle differenziert werden. Autistische Syndrome mit atypischem Erkrankungsalter und atypische Phänomenologie, sollten mit F84.12 kodiert werden.

ICD-10-GM

Wenn du wissen möchtest, ob du selbst oder dein Kind autistisch sein könnten, hilft dir vielleicht der Online-Selbsttest weiter.

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Quellen und Literatur

Zuletzt bearbeitet am 29.04.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus