Liebe Eltern autistischer Kinder!
Wir sind nicht Eure Feinde.
Wenn Ihr Eltern seid und wollt, dass Euer Kind ein besseres Leben hat, dann sind wir nicht Eure Feinde.
- Wir wollen, dass jede einzelne autistische Person ein gutes und glückliches Leben hat.
- Wir wollen, dass autistische Menschen die Möglichkeit haben, alles zu lernen, was sie lernen wollen.
- Wir wollen, dass autistische Menschen in einer Welt leben, in der sie so akzeptiert werden, wie sie sind.
- Wir wollen, dass autistische Menschen einen Beruf, Arbeitsplatz, einen Freundeskreis und Familie haben können, wenn sie das wollen.
- Wir wollen, dass autistische Menschen Unterstützung bekommen, wenn sie welche brauchen und wollen.
- Wir wollen, dass autistische Menschen barrierefreien Zugang zum Gesundheitssystem haben.
- Wir wollen, dass autistische Menschen frei von Diskriminierung oder Belästigung leben können.
- Wir wollen, dass jede autistische Person ihr Leben selbst gestalten und eigene Entscheidungen treffen kann.
Wir wollen das bestmögliche Leben für jede einzelne Person im Autismus-Spektrum.
Aber eins wollen wir nicht: Wir wollen kein nicht-autistisches Leben für autistische Menschen.
Autismus ist Teil unserer Persönlichkeit. Keine Krankheit, kein Mangel oder Defekt.
Natürlich können autistische Menschen krank werden – genauso wie nicht-autistische Menschen auch. Und diese Krankheiten muss man behandeln. Aber wir wehren uns dagegen, dass Autismus als Krankheit betrachtet wird.
Wir wollen nicht nicht-autistisch werden!
Ich bin sehr dafür, dass man nach Wegen sucht, mit seinem Kind zu kommunizieren, dass man ihm hilft, eine Sprache zu lernen – sei es Lautsprache, Schriftsprache, Gebärdensprache, Bildkarten oder anderes.
Aber ich bin dagegen, dass man das Therapie
nennt. Eine Therapie zielt auf die Heilung oder Linderung einer Krankheit. Einem Kind beizubringen zu kommunizieren, könnte man Bildung
nennen. Und es ist das Normalste der Welt: Jedes Kind braucht Unterstützung, um zu lernen, mit anderen zu kommunizieren.
Wenn Euer Kind erwachsen ist, wird es immer noch autistisch sein.
Das heißt nicht, dass die erwachsene Person immer noch so ist wie das Kind. Natürlich werden sich die Persönlichkeit und die Fähigkeiten des Kindes weiterentwickeln, wenn es älter wird – aber es wird dadurch nicht nicht-autistisch werden.
Ich kann nicht versprechen, dass sein Leben einfach sein wird. Aber schwierig wird es nicht durch Autismus. Schwierig wird es, wenn man diskriminiert wird, wenn man nicht so akzeptiert wird, wie man ist. Auch Lesben und Schwule haben es nicht immer leicht, auch People of Colour werden diskriminiert. Aber wir sind in der Gesellschaft zu der Ansicht gekommen, dass das Problem die Diskriminierung ist und nicht ein eventuelles Anderssein.
Man stelle sich vor, jemand würde als Lösung für die Probleme von Rassismus und Homophobie vorschlagen, man sollte People of Colour und Homosexuelle zu heterosexuellen Weißen machen – das würde man heute als zutiefst unethisch betrachten. Wenn es um autistische Menschen geht, betrachtet man den Vorschlag als völlig normal.
Bitte sorgt dafür, dass euer Kind in einer Umgebung aufwächst, in der es lernt, dass es ein wertvoller Mensch ist.
Bitte lasst Euch von autistischen Menschen sagen: Wir wollen nicht nicht-autistisch werden! Es mag vieles in unserem Leben geben, was wir ändern wollen – vielleicht suchen wir Freund*innen, wollen gern Spanisch lernen, wären gern sportlicher oder hätten gern unseren Traumberuf.
Aber wir wollen bei all den Veränderungen wir selbst bleiben.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die sagen, dass ein autistisches Kind eine Katastrophe sei, leere Hülle
, dass es keine Seele hätte. Ich weiß, dass das nicht stimmt.
Ich weiß, dass jedes autistische Kind ein wertvoller Mensch ist.
Und ich weiß, dass ihr als Eltern das Beste für euer Kind wollt. Bitte sorgt dafür, dass euer Kind in einer Umgebung aufwächst, in der es lernt, dass es ein wertvoller Mensch ist.
Zuletzt bearbeitet am 29.01.2022.
Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus