Umgang mit Mitbewohner*innen in der WG
Zwischen dem Unterricht, der Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen oder auch nur der Anpassung an das studentische Leben wirst du wahrscheinlich Zeit brauchen, um dich in deiner Unterkunft zu erholen. Wenn du mit anderen Studierenden zusammenwohnst, ist es deshalb wichtig, dass du schon früh gute Beziehungen zu deinen Mitbewohner*innen aufbaust.
Das kann aus mehreren Gründen von Vorteil sein.
Erstens kann es schwierig sein, an der Uni neue Freund*innen zu finden. In den ersten Wochen wirst du vielleicht mehr Zeit in deiner Unterkunft verbringen, um dich zurechtzufinden. Es kann stressig sein, sich in dieser neuen Umgebung ohne die Unterstützung von Freund*innen oder der Familie von zu Hause einzuleben. Das gilt besonders, wenn du aus einer anderen Stadt kommst. Wenn du eine gute Beziehung zu deinen Mitbewohner*innen aufbaust, ist das ein guter Anfang für den Aufbau einer Freundesgruppe an der Hochschule und kann die Erkundung der neuen Umgebung einfacher und angenehmer machen.
Es bedeutet auch, dass du dich zu Hause besser zurechtfindest: Von der Bezahlung der Nebenkosten und der Organisation der Hausarbeit bis hin zu sozialen Events wie Partys oder gemeinsamen Abendessen in deiner WG wird alles viel einfacher sein, wenn du eine gute Kommunikation zu deinen Mitbewohner*innen hast. Freundschaften mit Mitbewohner*innen machen das WG-Leben schöner.
Hier sind ein paar Tipps, um diesen Prozess in Gang zu bringen.
Inhaltsverzeichnis
Nimm frühzeitig Kontakt auf
Es ist sinnvoll, so schnell wie möglich einen Dialog mit deinen Mitbewohner*innen zu beginnen. Auch wenn es verlockend ist, in den ersten Tagen in deinem Zimmer zu bleiben, kannst du schon viel erreichen, wenn du deine Tür offen lässt. Das signalisiert, dass du jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung stehst. Wenn diese Herangehensweise Ängste auslöst, versuche, einen Nachmittag oder Abend im Gemeinschaftsraum (bzw. der Küche) zu verbringen und ein Gespräch anzufangen.
Je nachdem, wie oft ihr in der Erstsemesterwoche unterwegs seid, ist es vielleicht am besten, eine Stunde für ein Gespräch zu vereinbaren. Das muss nicht förmlich sein; eine Tasse Tee oder ein gemeinsames Essen kann viel dazu beitragen, diese Beziehung aufzubauen. Im Online-Zeitalter muss der Aufbau einer Beziehung noch nicht einmal physisch oder persönlich sein.
Tauscht eure Kontaktdaten aus. Vielleicht existiert bereits eine Messenger- oder Whatsapp-Gruppe oder du kannst eine einrichten, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Auf diese Art könnt ihr euch über viele Alltagsangelegenheit austauschen, auch wenn ihr euch wegen eures unterschiedlichen Stundenplans möglicherweise nicht so oft seht. So kannst du herausfinden, wann die anderen zu Hause sind, ob sie Zeit und Lust haben, mit dir zu einer Veranstaltung zu gehen, oder um finanzielle Angelegenheiten wie Rechnungen zu regeln.
Verbringt etwas Zeit miteinander
Ergreife die Initiative und frage deine Mitbewohner*innen, ob sie Lust haben, etwas gemeinsam zu unternehmen. Ein gemeinsames Erlebnis, das euch zusammenschweißen kann, ist ein gemeinsamer Abend in der örtlichen Studierendenkneipe. Aber wenn du keinen Alkohol trinkst oder den Lärm von Bars nicht magst, gibt es andere Möglichkeiten, etwas zu unternehmen.
Ein gemeinsames Picknick im Park kann ein schönes Erlebnis sein – wenn das Wetter mitspielt. Wenn die anderen ebenfalls neu zugezogen sind, erkundet gemeinsam die Stadt – oder die Uni. Als Erstsemester macht es zum Beispiel mehr Spaß, die Bibliothek mit einer Gruppe von Leuten zu erkunden.
Habt ihr ein gemeinsames Interesse? Vielleicht gibt es eine Veranstaltung oder eine Gruppe dazu, wo ihr gemeinsam hingehen könnt.
Natürlich ist es wichtig deutlich zu machen, dass es keinen Druck gibt. Manchmal brauchen auch die Mitbewohner*innen ihren Freiraum. Du weißt nie, ob du nicht mit anderen neurodiversen Menschen zusammenlebst, was uns zum nächsten Punkt führt.
Lernt die Routinen der anderen kennen
Wenn deine Mitbewohner*innen andere Fächer studieren, haben sie wahrscheinlich andere Vorlesungszeiten. Wenn eine von euch frühmorgens Vorlesungen hat und ein anderer erst spät, wollt ihr euch wahrscheinlich bezüglich der Ruhezeiten absprechen. Wenn ihr euch ein Badezimmer teilt, versuche herauszufinden, zu welcher Zeit die anderen am liebsten duschen. Lernen sie lieber in einem ruhigen Raum in der Bibliothek oder in einer belebteren Umgebung wie einem Café oder dem Gemeinschaftsraum? Haben sie einen Partner, den sie wahrscheinlich regelmäßig zu Besuch haben, und wenn ja, wann brauchen sie ihren eigenen Raum? Und ebenso solltest du deine Mitbewohner*innen über deine eigenen Gewohnheiten, Stressauslöser und die Personen, die du wahrscheinlich zu Besuch hast, informieren. So kannst du spätere Spannungen vermeiden.
Mach die Wohnung zu einem Zuhause
Das ist wahrscheinlich der wichtigste Teil des Auswärtslebens. Wenn du deine Wohnung in einem vorzeigbaren Zustand hältst, wird die Atmosphäre viel entspannter, aber das erfordert Teamwork von dir und deinen Mitbewohner*innen. Die Wohnung vom ersten Tag der Erstsemesterwoche an sauber zu halten, gibt den Ton für das ganze Jahr an.
Auch für dein eigenes Zimmer gilt, dass du dich wahrscheinlich besser entspannen kannst, wenn nicht alles herumliegt. Überlege dir, was wohin soll. Möglicherweise lohnt sich ein Besuch bei IKEA, um Wäschekorb, Kleiderbügel und ein paar Kisten oder ähnliches günstig zu kaufen.
Eine Grundreinigung der Küche durch alle ist wichtig, um Unordnung und Streit zu vermeiden. Pfannen, Teller und Besteck müssen gespült und weggeräumt werden. Verpackungen sollten nach Gebrauch recycelt oder in den Müll geworfen werden.
Toilettenpapier sollte regelmäßig nachgefüllt werden und das Bad regelmäßig geputzt werden. In der ganzen Wohnung sollte regelmäßig gesaugt werden, um staubige Luft zu vermeiden.
Vereinbare frühzeitig einen Putzplan mit deinen Mitbewohnern. Das Letzte, was du willst, sind ständige Konflikte – oder Ameisen oder Mäuse in der Wohnung, weil jemand nicht hinter sich aufgeräumt hat.
Aber um deinen Wohnraum zu einem Zuhause zu machen, muss man nicht nur aufräumen. Die Dekoration ist ein weiterer Aspekt, der mehr Spaß macht, wenn es darum geht, deine Wohnung lebenswert zu machen. Wenn du dich in deiner Wohnung wohlfühlst, fällt es dir leichter, dich zu motivieren, sie sauber zu halten. Lege ein paar schöne Kissen auf die Couch, kaufe eine Pflanze für das Fenster oder besorge ein paar Kunstwerke für die Wände.
Das muss nicht unbedingt teuer sein. Über Kleinanzeigen bekommt man vieles sehr günstig. Ein Ausflug zu einem Second-Hand-Laden mit deinen Mitbewohner*innen, um Accessoires auszusuchen, kann ein weiteres schönes Gemeinschaftserlebnis sein. Manche Möbelläden bieten diese Dinge ebenfalls zu guten Preisen (hab ich schon IKEA gesagt?).
Bleib offen für Neues
An der Uni triffst du Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Es ist wahrscheinlich, dass du mit Menschen aus anderen Teilen des Landes oder aus anderen Ländern zusammen wohnst. Sie besuchen vielleicht einen anderen Kurs oder haben andere Hobbys als du. Sieh das nicht als Hindernis, sondern als Chance, mehr soziale Kontakte zu knüpfen.
Vielleicht fragen sie dich, ob du mit ihnen zu einer Veranstaltung gehen möchtest, die du normalerweise nicht besuchen würdest. Denke daran, dass das Studium eine Zeit ist, in der du aus deiner Komfortzone heraustreten kannst. Solange dich diese Aktivitäten nicht beunruhigen oder dir problematisch erscheinen, solltest du diesen neuen Erfahrungen gegenüber offen sein.
Es gibt viele Nischenveranstaltungen an der Uni und anderswo in der Stadt, die du mit deinen Freund*innen erkunden kannst, von Hobbygruppen über Kneipentreffs bis hin zu informellen Lerngruppen in der Bibliothek.
Wenn du dich entscheidest, deine Diagnose zu offenbaren, müssen deine Mitbewohner*innen vielleicht an ihrem Verständnis von Autismus arbeiten. Denk aber daran, dass sie vielleicht ihre eigenen Bedürfnisse haben, die du verstehen musst. Ein guter Anfang ist es, eure Beziehung als einen gegenseitigen Austausch von Ideen zu betrachten.
Ihr müsst nicht unbedingt beste Freunde sein.
Trotz der Vorteile einer freundschaftlichen Beziehung zu Mitbewohner*innen solltest du nicht zu enttäuscht sein, wenn du am Ende nicht die beste Freundin oder der beste Freund wirst. Die Idee ist, guten, nicht unbedingt großartige – aber auf jeden Fall keinen schlechte – Mitbewohner*innen zu haben: Leute, mit denen du gut zusammenleben kannst und die dich nicht am Lernen hindern. Wenn du dabei eine enge Freund*in gewinnst, ist das ein Bonus! Aber ein angenehmes Zusammenleben mit deinen Mitbewohner*innen und sich in ihrer Gesellschaft wohl zu fühlen, ist schon ein tolles Ergebnis.
Zuletzt bearbeitet am 01.12.2023.
Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus