Wir sind autistisch und das ist gut so.

Weihnachten kann eine aufregende und schöne Zeit sein, aber für Menschen im Autismus-Spektrum kann es auch stressig und verwirrend sein. Wir haben eine Liste von Tipps zusammengestellt, die dir und deiner Familie helfen, besser durch die Feiertage zu kommen.

Vorbereitung

Autistische Menschen finden es oft schwierig, mit Veränderungen und neuen Situationen umzugehen. Was man tun kann:

  • Du kannst einen Kalender oder einen visuellen Tagesplan zur Vorbereitung verwenden. Drauf kann man zum Beispiel markieren, wann Gäste kommen und wann besondere Aktivitäten geplant sind.
  • Redet über Weihnachten und was es für eure Familie bedeutet.
  • Macht ein kleines Heft über Weihnachten, mit Bildern von Weihnachtsdekoration, Tannenbäumen und Weihnachtsgerichten. (Bedenke aber, dass manche autistische Menschen alles wörtlich nehmen und dann gestresst sind, wenn das echte Weihnachten anders aussieht als auf den Bildern.)
  • Gibt es im Ablauf der Feiertage besondere Ereignisse, bei denen du dir nicht sicher bist, wie das Kind damit umgehen wird? Ein Besuch vom Weihnachtsmann könnte besondere Vorbereitung erfordern – vielleicht kann man de Kind Fotos von einem als Weihnachtsmann verkleideten Mann zeigen, oder man spielt schon einmal Verkleiden mit einer einfachen Nikolaus-Maske.
  • Sprich dich mit der Schule ab. Sind dort irgendwelche Aktivitäten rund um Weihnachten geplant (zum Beispiel Weihnachtsfeiern, Wichteln)? Auch das braucht vielleicht Vorbereitung, Erklärung oder Unterstützung.

35 Tipps für Weihnachten mit Kindern im Autismus-Spektrum

Feiern und Veranstaltungen

  • Stopfe euren Terminkalender nicht zu voll. Feiern mit vielen Menschen, vielen Reizen und hohen sozialen Anforderungen sind für Menschen im Autismus-Spektrum Schwerstarbeit. Sie brauchen dazwischen auf jeden Fall genug Zeit, sich zu erholen. Ein Veranstaltung pro Tag ist im Allgemeinen genug.
  • Sag dem Kind morgens, was für den Tag geplant ist. Dafür kannst du auch einen visuellen Tagesplan verwenden. Wenn man gleich das Programm für die kommenden Tage aufzählt, kann das Kinder überfordern und verwirren.
  • Begrenze die Anzahl der Gäste, die zur selben Zeit im Haus sind.
  • Sage den anderen, was dein Kind gerade braucht, zum Beispiel dass es jetzt einen Ort braucht, um sich zurückzuziehen und einen Gang runterzuschalten. Manche werden das verstehen, andere nicht. Nimm es lieber in Kauf, dass der Opa griesgrämig guckt, als das dein Kind einen Overload hat und ausrastet.
  • Wenn du denkst, dass eine Veranstaltung zu anstrengend ist, lass sie aus. Macht eine Pause und lasst es ruhig angehen. Verwandte und Freund*innen werden darüber vielleicht nicht begeistert sein, aber du sorgst dafür, dass es deinem autistischen Kind gut geht und auch dir selbst. Von einem entspannenden Abend zu Hause habt ihr wahrscheinlich mehr.
  • Manchmal gibt es Veranstaltungen, zu denen du gehen willst oder musst, die für Kinder aber langweilig und anstrengend sind, und für ein autistisches Kind einfach
    u# zu viel. Dann lass die Kinder zu Hause (mit Familie oder Babysitter) und geh lieber allein. Und wenn es eine langweilige Pflichtveranstaltung ist, dann lass dich kurz blicken und geh möglichst bald wieder.

Routinen

Viele autistische Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Routinen und festen Tagesabläufen.

  • Du kannst versuchen, die Alltagsroutine so weit wie möglich aufrecht zu erhalten, auch an den Feiertagen.
  • Vielleicht kann man etwas Weihnachtliches, das das Kind mag, in seinen Tagesablauf einbauen, zum Beispiel ein Türchens im Adventskalender zu öffnen, oder die Lichter am Baum anzuschalten.
  • Du kannst im Tagesablauf des Kindes eine weihnachtsfreie Zeit einplanen. Das kann auch helfen, einzuschätzen, wie sehr der Trubel sie belastet, und den Rest des Tages entsprechend zu planen.
  • Gib dem Kind einen ruhigen, weihnachtsfreien Rückzugsort, wo es sich mit etwas beschäftigen kann, was es gern macht. Das ist vor allem wichtig für Momente, die stressig sein können, oder wenn das Fest sich lange hinzieht.

Weihnachtsdekoration

Autistische Menschen haben unterschiedliche sensorische Bedürfnisse. Eines Tages nach Hause zu kommen und plötzlich vor einem hell erleuchteten Weihnachtsbaum zu stehen, kann ein Schock sein. Was du tun kannst:

  • Beziehe das autistische Kind in die Veränderungen mit ein. Nimm es zum Beispiel mit, wenn du Weihnachtsdekoration einkaufst, und lass es beim Dekorieren helfen.
  • Vielleicht hilft es, nicht gleich alle Veränderungen auf einmal vorzunehmen. Zum Beispiel kann man erst den Weihnachtsbaum aufstellen, am nächsten Tag die Lichter aufhängen, und weitere Dekorationen noch später.
  • Dekorationen, die Overloads auslösen können, sollten außerhalb des gemeinschaftlichen Bereichs angebracht werden. Bunt blinkende Lichterketten sollte man zum Beispiel eher im Schlafzimmer oder Arbeitszimmer aufhängen als im Wohnzimmer.

Geschenke

  • Hier findest du unsere Geschenkideen für Kinder und Erwachsene im Autismus-Spektrum.
  • Viele nicht-autistische Kinder mögen Überraschungen. Autist*innen eher nicht. Manchmal haben sie feste Erwartungen, was die Überraschung sein könnte (und sind dann enttäuscht, wenn es etwas anderes ist als erwartet), manchmal ist die Ungewissheit schwer auszuhalten. Und vor den erwartungsvollen Gesichtern der Verwandten die Geschenke auszupacken und begeistert zu gucken, wenn man selbst noch nicht weiß, was man von dem unbekannten Geschenk hält, überfordert die meisten Autist*innen. Manche autistischen Kinder kommen mit einem Überraschungsgeschenk klar, aber nicht mit fünf.
  • Wenn ein autistisches Kind sich ein blaues Auto wünscht, will es wahrscheinlich nicht irgendein blaues Auto, sondern ein ganz bestimmtes. Meistens ist es am besten, die Geschenke mit dem Kind zusammen einzukaufen. (Das geht auch online, wenn man vor den Feiertagen nicht in überfüllte Kaufhäuser will.)
  • Eine große Menge an Geschenken kann überfordern. Was du tun kannst, wenn es deinem Kind so geht:
    • Begrenze die Anzahl der Geschenke. Zum Beispiel eins von den Eltern und zwei von den Großeltern – andere Verwandte können vielleicht Geld schenken.
    • Gebt die Geschenke eins nach dem anderen statt alle auf einmal.
    • Manchmal hilft es, die Geschenke nicht zu verpacken – es sei denn, das Kind mag das Auspacken.
  • Räumt das Geschenkpapier und andere Verpackungen gleich weg, damit es nicht zu chaotisch wird. Nach dem Auspacken sollten die Geschenke nicht überall verstreut auf dem Boden herumliegen, sondern zur Seite geräumt werden, so dass sie aber nicht zum sensorischen Durcheinander beitragen.

Soziale Anforderungen

  • Die Feiertage bringen hohe soziale Anforderungen mit sich: viele Leute zu treffen, Familie und Freund*innen zu Gast haben, anderswo zu Gast sein, Gespräche zu führen, Geschenke zu bekommen und vieles mehr.
    Viele autistische Menschen sind in der Lage, höflich, freundlich und aufmerksam zu sein. Der Weihnachtstrubel überfordert sie aber oft und sie funktionieren dann auf einem niedrigeren Level als normalerweise. Es kann anstrengend sein, überhaupt daran zu denken, bitte und danke zu sagen.
    Man sollte das im Kopf behalten und gelassen bleiben. Kleine Erinnerungen an gutes Benehmen sind okay, aber man sollte nicht zu sehr darauf bestehen. Generell ist es eine gute Idee, den Stress so gering wie möglich zu halten.
  • Zwinge das Kind nicht zu Begrüßungen und Verabschiedungen, wenn das zu viel Trubel bedeutet.
  • Versuche, positive soziale Interaktion zu ermöglichen. Wenn das Kind gern puzzelt, kann man vielleicht eine gemeinsame Puzzle-Ecke schaffen.

Sensorisches

  • Musik zu hören kann schön sein. Aber wenn Gäste da sind und sich unterhalten, ist Musik nur eine weitere Lärmquelle. Mindestens leiser schalten, am besten drauf verzichten.
  • Zu Weihnachten gehört auch Essen. Manche autistische Menschen essen am liebsten immer das gleiche und finden es furchtbar, etwas anderes essen zu müssen. Wenn sie freiwillig etwas Neues probieren, ist das schön, darauf bestehen sollte man nicht. Gerade an Weihnachten gibt es schon genug andere Herausforderungen. Sorge nur dafür, dass das Kind etwas hat, was es essen kann.
  • Lass dein Kind möglichst bequeme Kleidung anziehen. Zu manchen Veranstaltungen wird formale Kleidung erwartet; die ist meistens ungewohnt und unbequem. Für autistische Menschen kann das eine sensorische Überlastung bedeuten. Wenn es sein muss, versuche formale Kleidung zu finden, die sensorisch angenehm ist und nimm für den Notfall einen Satz Wechselkleidung mit.
  • Sozialer Stress oder die Unsicherheit, was als nächstes passiert oder was von einem erwartet wird, erhöht bei vielen Menschen im Autismus-Spektrum die Reizempfindlichkeit und die Anfälligkeit für Reizüberflutungen. Eltern können ausprobieren, ob es hilft, wenn sie ihrem Kind vorher genaue Informationen über die Abfolge der Ereignisse geben. Für öffentliche Veranstaltungen (zum Beispiel Gottesdienste) kann das Programm normalerweise vorher erfragt werden – leider gibt es keine Garantie, dass sich nicht doch noch etwas ändert. Wenn mögliche Änderungen mehr Stress bedeuten als die Unsicherheit, sollte man lieber sparsam mit Informationen sein.
  • Eltern sollten ein Auge auf Anzeichen von Stress und Reizüberflutung haben.

Unterstützung finden

  • Organisiere dir Unterstützung von Familie und Freund*innen. Vielleicht kann die Oma auf das autistische Kind aufpassen, während es einer Lieblingsbeschäftigung nachgeht; du und die anderen Kinder taucht in den Trubel des Fests ein.
  • Andere Familien autistischer Kinder haben oft gute Ideen. Tauscht euch untereinander aus.

Nach Weihnachten

  • Weihnachten war anstrengend. Danach sollt man ein paar entspannende Tage ohne größere Anforderungen einplanen. Es kann für autistische Menschen ein bisschen dauern, bis sie sich wieder in ihrer gewohnten Routine eingefunden haben. Bis dahin fehlt es ihnen vielleicht an Fähigkeiten oder Energie, oder sie können mit sensorischen Anforderungen nicht gut umgehen. Gib ihnen Zeit.

Zuletzt bearbeitet am 25.03.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus